Geliebter Boss
doppelt so hoch wie anderswo.
Es ist der eleganteste Damensalon von Wien, neben der Kärtner Straße in der Johannesgasse gelegen, neben der früheren alten Radiostation, der Ravag , und dem Kärtnerkino gegenüber. In seinen Auslagen liegen die teuersten Parfüms der Welt. Arpege . Femme. Dunhill. Baimain . Mitsou . Hinter den Parfüms die heute so beliebten Perücken in allen Farbtönen. Keine unter 7000 Schilling. Aus echtem Haar, jede handgeknüpft. Mit billigen Nylonperücken gibt sich der Salon Molltaschel nicht ab. Flachsblond und Tizian für den Vormittag, Kastanienrot für den Abend. Es ist heute üblich. Keiner findet etwas dabei, mit der gleichen Frau in Blond am Vormittag über den Ring zu spazieren oder bei Demel zu frühstücken und abends mit ihr in Kastanienrot in der Oper zu sitzen. Die Damen wechseln ihre Perücken schneller und öfter als ihre Hemden. Aber welche von den geliebten Damen, die teure Perücken aus Laune tragen, tragen noch Hemden? Die moderne Frau sieht unter dem Kleid völlig anders aus als ihre Mutter und Großmutter. Ich, der Autor, weiß es vom Hörensagen.
Auf der rechten Seite der Auslage stehen die Perückenkoffer. Das ist der letzte Schrei. Keine Dame traut sich mehr auf Reisen ohne ihren Perückenkoffer, in dem drei Perücken Platz haben. Eine davon ist immer beim Friseur zum Auffrisieren. Die Damen ersparen damit kostbare Zeit, die sie dringender für Bridge, Parties, Shopping und Tennisspielen verwenden können. In diesem Jahr stehen auf vielen Wunschzetteln zum Geburtstag, dem lieben Ehemann präsentiert: »Zwei Perücken zum Wechseln. Ein Perückenkoffer.«
Herr Molltaschel hat gerade echtes Henna gekauft.
Nur ein kleines Säckchen. Ein Kilo.
Ein Kilo Henna kostet ein Vermögen.
»Du bist verrückt, Molltaschel! Wer färbt heute noch mit Henna?« Frau Molltaschel pflegt ihren Mann im Salon Molltaschel zu nennen. Zumal, wenn sie mit etwas nicht einverstanden ist. Herr Molltaschel will seine Frau überzeugen.
»Riech mal, wie das duftet!«
Er hält ihr das Säcklein unter die Nase, das er aufgebunden hat. Ein betäubend würziger Duft mit allen Wohlgerüchen Arabiens breitet sich aus.
»Das ist Erde, Molltaschel?«
»Man nennt es Erde. In Wirklichkeit sind es die zerriebenen Blätter eines bestimmten Strauches, die dem Haar das echte Tizianrot geben.«
Herr Molltaschel trägt sein Säcklein Hennaerde aufgeregt von Kabine zu Kabine.
»Ich habe heute zum erstenmal seit dem Krieg echte Hennaerde hereinbekommen«, sagt er zu den Kundinnen, »wenn Sie sich das nächstemal bei mir färben lassen, Baroneß — haben Sie schon einmal echte Hennaerde gerochen, Frau Kammersängerin? Antoine, Frau Generalkonsul Lowitzer unter der Haube ist trocken! Antoine!« Und zu einem Herrn gewendet, der seine Frau abholt und neben der Kasse wartet: »Es gibt nichts Besseres für das Haar als echtes Henna, Herr Lingen!«
Die Großen von Bühne und Film gehen hier ein und aus. Es ist der meistfotografierte Damenfrisiersalon Wiens, auf das modernste eingerichtet. Von der nahen Konditorei Gerstner auf der Kärtner Straße lassen sich die Kundinnen, während sie frisiert werden oder unter der Haube sitzen, Törtchen und Tee kommen, auch Sandwiches aus süßem Milchbrot. Dieser Komfort kostet natürlich. Auch dies kostet: ein direkter Draht verbindet den Salon mit den großen Hotels der Stadt. Keiner der Hotelgäste braucht zu warten. Der Portier meldet sie an, die Dame kommt, nimmt Platz und wird sofort bedient. Zwei Stunden später ist sie fertig. Man kann die Uhr danach stellen.
»Hotel Imperial hat für vier Uhr eine Dame zum Färben,
Kopfwäschen, Legen und zur Maniküre angemeldet«, sagt Herr Molltaschel, der ins Buch blickt.
»Ich habe sie bereits bei mir eingetragen«, sagt Antoine.
»Die Dame wird um sechs Uhr von Herrn von Saussen abgeholt.«
Er sagt Herr von Saussen. In Wien, wo der Adel von Staats wegen abgeschafft ist, führen ihn die Kellner und Friseure wieder ein. Auch die Masseure in der Sauna. Sie sagen: »Jetzt haben wir noch den Herrn von Qualtinger zu massieren, und dann ist Feierabend!«
Punkt vier Uhr erscheint die Dame aus dem Imperial. Sie trägt ein modisches Sommerkleid, ärmellos, einen Kompletmantel darüber, einen Strohhut, einen Sonnenschirm, weiße Handschuhe, eine schwarze Lackhandtasche und moderne weiße Leinenschuhe mit dem neuen Blockabsatz. Birke ist alles noch ungewohnt, aber sie läßt sich nichts anmerken und tut so, als wäre sie schon immer
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