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Geliebter Boss

Geliebter Boss

Titel: Geliebter Boss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Hanns Roesler
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hier?«
    »Ihnen Wien zu zeigen.«
    »Mit welchem Resultat?«
    »Etwas zu bekommen, was ich noch nicht habe.«
    »Das wäre?«
    »Ein Mädchen namens Birke.«
    »Die kleine Kontoristin?«
    »Die Königin unter den Kontoristinnen!«
    »Die weiblichen Maikäfer sind klein und für einen Sammler ohne jede Bedeutung.«
    »Für einen Jungen von neun Jahren. Für einen Mann von Dreißig...«
    Birke blickt überrascht auf.
    »Dreißig? Sie sehen älter aus.«
    »Ich bin auch älter. Aber nicht viel älter. Ich wollte Sie erst allmählich an unseren Altersunterschied gewöhnen. Jeden Tag werde ich ein Jahr mehr zugeben.«
    »Wieviel Tage braucht es dazu?«
    »Drei Tage. Ich hoffe, die Stadt Wien hilft mir dabei — wir werden in die Oper gehen, in die Burg, wir werden in den Wienerwald fahren, nach Schönbrunn, wir werden auf dem Leopoldsberg stehen und in Nußdorf Wein trinken...«
    »Bis die Polizei kommt und uns findet. Uns und das Geld.«
    »Sie werden es nicht finden. Ich habe es nicht mehr. Es liegt unten im Safe. Ihre Dreißigtausend und meine Dreißigtausend.“
    »Alles? Das ganze Geld?«
    »Nicht das ganze Geld. Von Ihren Dreißigtausend habe ich zweitausend Mark behalten. Für Strümpfe, Kleider und Schuhe. So können Sie nicht länger herumlaufen.«
    »Ich rühre keinen Pfennig davon an!«
    »Das brauchen Sie auch nicht. Das tue ich schon für Sie. Oder glauben Sie, ich kann mir als namhafter Hochstapler leisten, eine Sekretärin zu beschäftigen, die kein Abendkleid hat? Was für ein trauriger Boß, würden die Leute von mir sagen!«
    »Ich habe noch nie ein Abendkleid besessen.«
    »Da wird es höchste Zeit. Jeder Chef pflegt seiner Sekretärin zuerst ein Abendkleid zu kaufen. Er erwägt es schon bei der Wahl seiner Sekretärin, wie ihr wohl ein Abendkleid stehen wird, wenn er sie zum erstenmal im Pullover sieht.«
    »Jeder Chef?«
    »Die gutverheirateten wenigstens. Die anderen haben außerhalb eine ständige Geliebte und sind auf die Reize ihrer Sekretärinnen nicht neugierig.«
    »Und lassen sie einfach verhungern?«
    »Verhungern?«
    »Ich habe seit vierundzwanzig Stunden nichts gegessen.«
    Zanders lacht.
    »Um Gottes willen! Dann wird es höchste Zeit! Ich wollte Sie, als ich kam, zum Essen abholen. Der Tisch ist bereits gedeckt.«
    Birke blickt an sich hinunter.
    »In diesem Kleid? Kann ich so ins Restaurant?«
    »Nein«, sagt Zanders, »wir essen in meinem Zimmer. Kommen Sie! Die Kellner werden ungeduldig, und die Suppe wird kalt.«
    »Warten Sie fünf Minuten. Ich muß mich erst zurechtmachen.«
    Als Birke fünf Minuten später aus dem Bad kommt, konstatiert Zanders, daß er recht daran gehandelt hat, ihr Boß zu werden.
    Als Birke später, an das erste gemeinsame Mittagessen zurückdenkt, in Zanders’ Zimmer, wird sie lange Zeit ihre Enttäuschung nicht los. Was hatte sie sich eigentlich vorgestellt? Ein Diner ä deux? Mit Kerzenlicht und versteckter Musik? Zugegeben, es war ein Mittagessen, da nimmt man keine Kerzen. Aber man führt sie doch nicht einfach zu Tisch und setzt sich stumm gegenüber. Ein Zärtlichkeitsausbruch, dessen man sich kaum erwehren kann, wäre doch am Platz gewesen. Daß er nach dem ersten Bissen das Essen stehenläßt, sie mit verliebten Augen anstarrt, sie hochhebt und auf die Couch trägt und ihr heiße Worte ins Ohr flüstert — so liest man es doch in den Romanen. Oder daß er sie wenigstens nach dem Essen bei der Hand nimmt und sie zärtlich zu einer Causeuse führt und zu ihr von Liebe spricht. Daß er sich ans Herz faßt und schwört, sie wäre das bezauberndste Mädchen der Welt, und ohne sie sei sein Leben sinnlos. Aber nichts von alledem geschieht. Er hat sie nur zum Essen eingeladen und nichts anderes im Sinn, als seinem Körper Nahrung zuzuführen. Wenn er etwas sagt, so geht es immer nur um das Essen, ob es ihr schmeckt. Aber das ist nicht die einzige Enttäuschung. Sie liest ja nicht nur Romane, sie blättert auch in den großen Illustrierten und Blättern der großen Welt und weiß von den bunten Bildern, welche Genüsse einen bei Tisch erwarten.
    Hier, in diesem Luxushotel mit einer Speisekarte in drei Sprachen, ohne Preise, erwartet sie ein reiches Büfett mit den köstlichsten Vorspeisen, wie sie es oft abgebildet gesehen hat: Hummer, Gänseleber, geräucherter Lachs, Möweneier, Wachteln in Aspik, Kaviar, eine große goldgelbe Ananas,’ warmer goldbrauner Toast in kleinen Körben und Butter, die man nach Herzenslust aufs Brot streichen kann, ohne zu

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