Geliebter Boss
geht alles weiter, wie es war, sitzt jetzt ihre Stellvertreterin auf ihrem Platz in der Bank, wird von Herrn Direktor Graßmann gerufen — aber nein, daheim geht es gar nicht weiter, wie es war. Die Polizei ist im Haus, alle Kollegen und Kolleginnen werden von ihr reden, heute mittag in der Kantine wird sie das einzige Gesprächsthema gewesen sein, sie, die Hochnäsige, die Unnahbare, manch einer hat ihr schon nie recht getraut, warum hat sie nie in der Kantine mitgegessen? Bildet sie sich ein, etwas Besonderes zu sein? Schützling des Direktors Graßmann vielleicht, aber man ist nie dahintergekommen. Sie aber sitzt hier in Wien bei einem Friseur in der Johannesgasse, läßt sich das Haar färben und tut so, als ob sie das alles gar nichts angeht.
Dabei ist sie doch wirklich überfallen worden. Sie hat nicht um Hilfe gerufen. Das ist ihr einziger Fehler.
Wen hätte sie zu Hilfe rufen können? Es war doch niemand da, der sie gehört hätte! Der andere hat das Geld genommen, der andere hat die Unterschrift gefälscht, der andere hat sie bedroht und gezwungen, mitzumachen — aber sie ist jetzt bei dem anderen, läßt sich frisieren von dem Geld, das er geraubt hat, trägt ein Kleid von diesem Geld, eine Handtasche, einen Sonnenschirm —, sie ist zu seiner Kumpanin geworden, da beißt die Maus keinen Faden ab. Aber die Tat wäre auch geschehen, wenn sie nicht hinterher mit ihm weggefahren wäre. Sie ist auf die Teilung der Beute nicht eingegangen, sie hat keinen roten Heller von dem Geld in der Tasche. Sie ist genauso arm wie daheim. Im Gegenteil, er hat ihr noch das ersparte Urlaubsgeld aus der Tasche genommen. Das kann sie beweisen, das kann sie Vorbringen, wenn sie vor dem Richter stehen wird.
»Ich habe zu Mittag mit ihm gegessen, Rindfleisch, gewöhnliches gekochtes Rindfleisch...«
Richtig, die vier Koffer haben sie auch von dem Geld gekauft, aber er hat sie gekauft, nicht sie, auch die Fahrkarten nach Wien. Ihre Gedanken machen plötzlich einen Sprung. Sie denkt an die Stunde nach dem Mittagessen, als er sie in ihr Zimmer zurückführte und sie das neue Kleid auf dem Bett liegen sah, den neuen Mantel.
»Du wirst dich jetzt umziehen müssen«, sagt er.
»Nicht, solange Sie im Zimmer sind.«
»Sei nicht albern! Vor seinem Boß geniert man sich nicht. Ich muß doch wissen, ob dir das Kleid paßt.«
Er tritt zum Fenster, dreht ihr den Rücken zu.
»Geh ins Bad!« sagt er.
Sie reißt das Kleid an sich, verschwindet im Bad, schiebt den Riegel vor. Sie hat Angst, daß er die Tür eindrücken wird. Aber nichts geschieht. Als sie in dem neuen Kleid zurückkommt, steht er noch immer am Fenster, wie sie ihn verlassen hat. Er sieht sie überhaupt nicht an. Wirft nicht einmal einen Blick auf ihr Kleid. Er deutet hinunter auf die Stadt.
»Das ist jetzt unsere Stadt«, sagt er.
»Ich bleibe nicht. Ich fahre zurück.«
»Vergiß, was war!«
»Ich kann nicht in Angst leben.«
»Wovor hast du Angst?«
»Vor allem. Auch vor Ihnen. Ich kann nicht mit einem Menschen leben, der —«
»Ich würde es versuchen.«
»Was ist dann das Ende?«
»Wir stehen am Beginn.«
»Du verlangst, daß ich die Schiffe hinter mir verbrenne?«
Sie sagt zum zweitenmal , seitdem sie allein sind, du zu ihm.
»Genau das verlangst du! Daß ich die Schiffe hinter mir verbrenne!«
»Sag es einfacher!«
»Was wird aus mir, wenn alles vorbei ist?«
»Was wird aus jedem Menschen, wenn das Schöne vorbei ist?«
»Er hat die Erinnerung.«
»Die bleibt dir auch.«
»Und dann?«
»Vielleicht gelingt es dir, mich zu überspielen. Vielleicht wirst du dann der Boß und ich mache, was du verlangst.«
»Wo gibt es das?«
»In jeder normalen Ehe. Da ist der Mann nur der Kuli.«
Birke schaut spöttisch auf.
»Erwägt der Boß, mich zu heiraten?«
»Nein! Keineswegs!« wehrt Zanders erschrocken ab. »Aber es wäre doch eine gute Ausrede vor dir selbst, daß du einem Mann ins Garn gegangen bist, von dem du glaubst, ihn auf den rechten Weg zurückleiten zu können. Du hast genau vier Wochen Zeit dazu.«
»Warum genau vier Wochen?«
»Weil wir dann voraussichtlich mit unserem Geld zu Ende sind und neues herbeischaffen müssen. Bis dahin aber ist das Leben schön, und wir wollen es frohen Herzens genießen. Jede Minute! Ich bin dafür, daß wir sofort damit beginnen. Ich genieße dich jetzt in dem neuen Kleid. Du siehst bezaubernd darin aus!«
»Danke.«
»Du hast die süßesten Schultern der Welt!«
»Danke.«
»Für das
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