Geliebter Boss
Kompliment?«
»Auch für das Kleid.«
»In Wien herrschen beim Danksagen andere Sitten.«
»Welche?«
»Diese. Ich zeig dir’s!«
Er nimmt sie in seine Arme und gibt ihr einen Kuß.
»So macht man das in Mitteleuropa«, sagt er.
Sie wehrt sich nicht. Sie wehrt sich auch dann nicht, als er sie weiterküßt. Nach Küssen gerechnet viel mehr, als das Kleid wert ist. Wahrscheinlich nimmt er auch Küsse für den Mantel. Aber Birke hält nur still. Sie läßt sich küssen.
Sie hat Angst, daß er merkt, daß sie noch nie einen Mann richtig geküßt hat. Das wäre höchst blamabel. Schließlich ist sie sechsundzwanzig Jahre. Sie hat Angst, sich zu blamieren. Das geschieht oft bei einem Mädchen, das erst spät zum Küssen kommt. Plötzlich merkt sie, daß sie seine Küsse erwidert, schon lange erwidert. Als ihr dies bewußt wird, wendet sie den Kopf und schiebt Zanders zurück.
»Zufrieden mit den mitteleuropäischen Bräuchen der Danksagung?« fragt sie.
»Machst du dich lustig über mich?«
»Kümmert das den großen Boß?«
»Ich muß zugeben...«
»Gib es zu! Was mußt du zugeben?«
»Du bist die wunderbarste Frau der Welt!«
»Du hast vier Wochen Zeit, dies festzustellen.«
»Bewilligst du sie mir? Diese vier Wochen?«
Sie sagt:
»Jetzt ja.«
Am Nachmittag, die Glocken von der nahen Minoritenkirche schlagen sechs Uhr, sitzt Birke im Salon Else Eckersberger bei einer Modevorführung. Es ist ein kleines Palais, unweit vom Ballhausplatz, an der Konditorei Demel am Kohlmarkt vorbei, und soll früher einmal ein erzbischöfliches Palais gewesen sein. Tiefe Fenster mit seidenen Vorhängen, an den Wänden Bilder von Makart und Amerling , an der Stirnwand des Raumes eines der schönsten Bilder von Ferdinand Waldmüller; ein ähnliches mit dem gleichen Motiv hängt in der Galerie Bettauer: eine Mutter schaut mit ihren drei Kindern aus dem holzgerahmten Fenster eines Wiener Bürgerhauses. Ich weiß nicht, ob Birke das Bild schon erblickt hat, so gewaltig ist der Eindruck des Ganzen: die Räume sind in Weiß und Gold gehalten, die Decken mit Stuck verziert, wie man dies oft in Barockhäusern findet, Putten an den Wänden und rote Rosen in reicher Verschwendung; und den Fußboden der Säle bedeckt ein dukatengoldener Teppich.
In weißen Barocksesseln mit rotem Samt sitzen die Freunde des Hauses, die Frau Eckersberger im kleinen Kreis zu ihrer diesjährigen Modeschau der Herbstmodelle eingeladen hat. Man reicht Cocktails, und der Hausherr, ein alter Wiener Verleger, ist unentwegt damit beschäftigt, die schönsten Mannequins Wiens zu fotografieren. Er fotografiert die Kleider, die sie tragen, wenigstens tut er so, aber wenn man genau hinschaut, sind es nicht die Kleider, sondern die Mädchen, die er mit Andacht fotografiert. Es ist das Hobby eines Mannes, der den Erinnerungen seiner glücklichen Jugend lebt und heute wenigstens noch mit der Kamera vor der Schönheit niederknien darf und statt zärtlichen Wünschen einfach knips macht. Glückliches Wien, dessen Frauen ihren Männern diese kleinen Schwächen lächelnd nachsehen!
Es sind keine Berufsmannequins, es sind junge Damen der besten Wiener Gesellschaft, die hier die neuen Kleider zur Schau tragen. Kleider, wie sie Birke noch nie gesehen hat, von einer Kostbarkeit des Materials und von dezenten Farbtönen, wie die Wiener Mode sie liebt.
Zanders hat Birke kurz vor sechs Uhr bei Antoine abgeholt. Er stand an der Kasse und plauderte mit Frau Molltaschel und wartete geduldig auf seine Begleiterin, fast wie ein Ehemann. Auf Birke hat noch niemand beim Friseur gewartet und noch niemand für Birke bezahlt. Als sie seine vertraute Stimme wieder hört, eilt sie lächelnd auf ihn zu.
Er hat sich umgezogen, trägt einen lichten Staubmantel und darunter einen dunklen Anzug, eine einfarbige dunkle Krawatte und eine weiße Gardenie im Knopfloch. Er wickelt aus einem Seidenpapier eine weiße Orchidee und überreicht sie Birke.
»Sie wird gut zu deinem Kleid passen.«
»Danke«, sagt Birke.
»Hier ist eine Nadel.«
»Danke«, sagt Birke ein zweites Mal und steckt die Orchidee an ihr Kleid. Sie tut, als wäre sie gewohnt, kostbare Blumen am Kleid zu tragen. Sie lächelt. Welche Frau kann ein glückliches Lächeln verstecken, und sei es nur das Lächeln um ein paar Maiglöckchen oder einer Wiesenblume willen, die ein Mann ihr überreicht?
»Wohin gehen wir?«
»Ich habe uns einen Wagen gemietet«, sagt Zanders, »wir behalten ihn, solange wir in Wien sind.«
Vor
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