Geliebter Feind
ihre Vorsicht durchaus angebracht waren. Bei diesen Männern handelte es sich um Wegelagerer, elende Kerle, die Hilflose und Unvorsichtige überfielen, die sich ihrer nicht erwehren konnten. Und mit Peter und mir würden sie sicherlich kurzen Prozeß machen, dachte sie er-schaudernd.
Obwohl sie ihre Ohren anstrengte, vermochte sie nicht zu hö-
ren, wozu sich die Männer am Ende entschlossen. Sie blieb in ihrem Versteck, bis die Verbrecher wieder aufgesessen und da-vongeritten waren - und zwar in Richtung Sedgewick!
Sie kroch zu Peter und Esmeralda zurück. Gott sei Dank hatte sich der kleine Junge nicht von der Stelle gerührt. Allerdings war er jetzt den Tränen verdächtig nahe. Kathryn drückte ihn fest an sich und setzte ihn dann in den Sattel. „Weißt du was, Peter? Wir spielen jetzt zusammen etwas, du, ich und Esmeralda. Wir tun so, als müßten wir uns vor der ganzen Welt verstek-ken, ja? Du mußt also ganz, ganz leise sein und darfst kein einziges Wort sagen."
Sie saß hinter ihm auf, trieb das Pferd zum Galopp an und ritt in der dem Kurs der Wegelagerer entgegengesetzten Richtung.
Dieser Weg führte sie zwar zunächst weiter von Sedgewick fort, doch sie wollte nicht riskieren, den Verbrechern zu begegnen.
Später würde sie dann einen Bogen schlagen und auf diese Weise zur Burg zurückkehren.
Sie hetzte Esmeralda tiefer in den Wald hinein, wo das dichte Blätterdach das schwindende Sonnenlicht fast ganz verbarg.
Erst als sie der Stute eine Rast gönnen mußte, merkte sie, wie spät es schon war. Überall lauerten finstere Schatten. Die Dämmerung senkte sich über das Land, und bald würde es nacht-dunkel sein.
Kathryn war sich ganz sicher, daß sie den Rückweg nach Sedgewick finden würde, allerdings nicht im Dunkeln. Es wäre vernünftiger, die Nacht hier im Wald zu verbringen und den Ritt zur Burg morgen früh fortzusetzen.
Sie saß ab und hatte kaum drei Schritte getan, als sie ganz in der Nähe ein kleines Häuschen entdeckte. Sie band das Pferd davor an einem Baum fest, und einen Moment später standen sie und Peter in der Eingangstür. Die Hütte war alt, schäbig zusam-mengezimmert, kaum mannshoch und höchstens drei Schritt im Geviert groß, doch sie bot Schutz für die Nacht.
Peter zupfte Kathryn am Rock. „Ich will heim", flüsterte er weinerlich.
Sie blickte in sein kleines, bekümmertes Gesicht, und ihr Herz zerschmolz. „Ich weiß, mein Liebling." Sie kniete sich vor ihn.
„Nur fürchte ich, wir müssen bis zum Morgen warten, wenn es wieder hell ist. Esmeralda kann im Dunkeln so furchtbar schlecht sehen, weißt du, und mir geht es leider nicht viel besser." Sie lächelte zur Entschuldigung und strich ihm übers Haar.
„Hast du Hunger?"
Er nickte eifrig, und sie holte das Stück Brot aus der Rockta-sche, das sie sich vor ihrem Ausflug noch rasch eingesteckt hatte. Peter aß es hungrig auf. Als er damit fertig war, setzte sie sich mit dem Rücken gegen die Wand gelehnt auf den Boden und nahm den kleinen Jungen in die Arme. Wenige Minuten später war er fest eingeschlafen. Seine Wange ruhte an ihrer Schulter, und seine kleine Hand lag an ihrer Brust.
In der Nacht kroch die Kälte in die Hütte. Peter fröstelte.
Kathryn wickelte ihn so gut wie möglich in ihren Rock, rieb seinen Rücken und starrte in die Dunkelheit. Sie saß unbequem, und ein Holzspan bohrte sich ihr in den Rücken. Trotzdem wagte sie es nicht, sich zu bewegen; Peter hätte davon ja womöglich aufwachen können.
Erstaunlicherweise fielen auch ihr bald die Augen zu. Schon halb im Schlaf, dachte sie wieder an die Wegelagerer und daran, daß zumindest einige von ihnen nicht den Wunsch hegten, dem Earl zu begegnen. Nun, es stimmte ja wohl, daß er ein Mann war, mit dem man rechnen mußte. . . Sie hoffte zu Gott, daß die Schufte das Dorf nicht überfielen und ausplünderten . . . Guy -
hatte er wirklich gesagt, sie sei wunderschön?
Dies war ihr letzter Gedanke, bevor sie in einen tiefen Schlummer sank.
Die Tür wurde so heftig aufgestoßen, daß sie gegen die Wand krachte. Kathryn riß die Augen auf und beschattete sie sofort mit dem Arm, denn gleißendes Sonnenlicht fiel in die kleine Hütte. Erst danach sah sie die große Gestalt im Türrahmen stehen - Guy de Marche! Da er die Sonne im Rücken hatte, lag sein Gesicht im Schatten und wirkte dadurch um so finsterer und bedrohlicher.
Bevor Kathryn auch nur Luft holen konnte, riß er ihr Peter aus den Armen und reichte ihn an jemanden hinter sich
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