Geliebter Freibeuter
unbewohnt aussahen.
»Wer lebt hier?«, fragte sie Betty.
»Ihr solltet nicht hier sein, Mylady. Das ist kein Ort für eine Dame.«
Genau diese Bemerkung machte Eloise neugierig, und sie lief, so schnell es ihre Schuhe zuließen, über den unebenen Boden zur ersten Hütte. Die Tür war unverschlossen, und in der Hütte befanden sich zwei Reihen mit je sechs Betten. Alles war peinlich sauber und roch nach frischem Holz.
Sie wandte sich an Betty.
»Was ist das? Leben hier die Arbeiter oder die Kumpane des Captains?« Sie verließ die erste Hütte und schaute in die nächste. Zu ihrem Erstaunen war diese wie die Praxis eines Arztes eingerichtet. »Oh, ist das etwa ein Hospital? Ein eigenes Krankenhaus für die Menschen, die hier leben?«
In einem Schrank befanden sich Stapel von frisch gewaschenen Leintüchern und fein säuberlich aufgerolltes Verbandsmaterial. Daneben standen auf einem Bord rund ein Dutzend Glasgefäße mit diversen Tinkturen und Salben. Als Eloise die Schublade einer Kommode aufzog, wich sie erschrocken zurück. Darin lagen zahlreiche ärztliche Instrumente, darunter auch Messer, die man für Operationen und Amputationen verwendete.
In der nächsten Hütte befand sich eine vollständig eingerichtete Küche. Hinter dieser Hütte floss ein Bach mit glasklarem Wasser.
»Was ist das?«, wiederholte sie und sah Betty eindringlich an.
Diese wandte sich nur ab und murmelte: »Wir müssen zurück, der Captain wartet auf das Frühstück.«
Da Eloise Bedenken hatte, ob sie den Weg zurück zum Herrenhaus allein finden würde, blieb ihr nichts anderes übrig, als Betty zu folgen. Die junge Frau hastete so schnell durch den Wald, als würde sie verfolgt, und Eloise geriet außer Atem. Welches Geheimnis bargen die Hütten? Handelte es sich tatsächlich um ein kleines Hospital? Für die Besatzung des Piratenschiffes, wenn die Männer im Kampf verletzt wurden?
Eloise war fest entschlossen, dieses Geheimnis zu lüften.
In der heißen Mittagszeit dieses Tages ruhte Eloise auf ihrem Bett, aber sie konnte nicht schlafen. Zu viele Gedanken wirbelten durch ihren Kopf, nur an ihren Verlobten David Morgan dachte sie so gut wie nie. Plötzlich hörte sie draußen laute Männerstimmen und Satzfetzen wie »Wir müssen uns beeilen«, »Alle Decks beladen«, »Ein großer Transport« und »Die schnappen wir uns!« drangen an Eloises Ohren. Sie eilte zum Fenster und spähte durch die Ritzen des Ladens nach unten. Zehn bewaffnete Männer warteten vor dem Haus, und als Dark Flynn und Cubert herauskamen, rief der Captain über die Schulter zurück: »Betty, bereite wie immer alles vor. In drei, vier Tagen werden wir zurück sein.«
Eloise weckte Kate und bat sie, ihr das Kleid am Rücken zuzuschnüren, dann schlüpfte sie in ihre Schuhe.
»Wo willst du hin?«, fragte Kate.
»Nachsehen, was los ist. Es scheint, Flynn hat vor, ein Schiffzu kapern.«
In Eloise regte sich gespannte Erwartung, und Kate folgte ihr nach draußen. Von allen Seiten strömten die Männer zumHafen. Obwohl es wie ein großes Durcheinander wirkte, schien jeder genau zu wissen, was zu tun war. Niemand achtete auf die beiden Frauen. Die ersten Boote ruderten zur
Liberty
hinaus, die bereits unter vollen Segeln stand. Eloise hörte, wie ein Matrose zu einem anderen sagte: »Das Spähschiff hat die Fregatte zwei Tagesreisen von hier entfernt ausgemacht. Offenbar ist es ein englischer Segler.«
Nun gab es für Eloise keinen Zweifel mehr. Wütend ballte sie die Hände zu Fäusten. Dark Flynn war zu einem Überfall unterwegs. Wieder würde er ein Schiff kapern, die Mannschaft ermorden und die Ladung rauben. Und es handelte sich um Engländer, um ihre Landsleute, die ihr Leben lassen würden … Die Hilflosigkeit, nichts dagegen unternehmen zu können, versetzte Eloise in maßlosen Zorn, aber auch ein Funken Hoffnung flammte in ihr auf. Vielleicht war es ein von David Morgan geschicktes Schiff? Er musste längst von ihrer Entführung wissen und würde sicher alles tun, sie so rasch wie möglich zu befreien. Man sagte Dark Flynn zwar nach, er wäre unbesiegbar, aber er war auch nur ein Mensch. Vielleicht hatte sie, Eloise, jetzt Glück, und die Besatzung des Handelsschiffs war in der Überzahl und dessen Kanonen denen der
Liberty
überlegen? Vielleicht lag die Rettung in greifbarer Nähe?
»Es ist schrecklich, so gar nichts tun zu können«, sagte sie zu Kate, die neben ihr stand und ebenso gespannt auf das Schiff starrte, das bald darauf die Bucht
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