Geliebter Freibeuter
»Es tut mir leid, meine Liebe, ich hätte mich nicht so gehenlassen dürfen. Die einzige Entschuldigung ist meine übergroße Sorge um dich. Tag und Nacht habe ich um dich gebangt. Als ich das Lösegeld losschickte, konnte ich nicht wissen, ob sich Flynn an die Vereinbarung halten und dich wirklich freilassen wird. Du verstehst, dass ich diesem Mann nicht trauen konnte?«
Nein, Dark Flynn konnte man nicht trauen, in keiner Beziehung, dachte Eloise und sagte leise: »Es ist uns kein Leid geschehen, David. Im Gegenteil, wir wurden sogar den Umständen entsprechend gut behandelt. Das kann Kate bestätigen.«
Morgan sah ihr fragend in die Augen.
»Er hat dich nicht … Ich meine … Es tut mir leid, das fragen zu müssen, aber ich …«
»Ob er mich angefasst hat?« Erschrocken wich Eloise zurück und hob abwehrend die Hände. Sie schluchzte, und Tränen flossen aus ihren Augen.
Kate legte einen Arm um Eloise und sah Morgan fest an.
»Sir, lasst ihr ein wenig Zeit«, sagte sie und wiederholte damit ihre Bitte. »Aber ich kann Euch versichern, dass sich Captain Dark Flynn stets wie ein Gentleman verhalten hat.«
Kates entschlossener Gesichtsausdruck und Eloises Tränen sagten Morgan, dass er heute nichts mehr erfahren würde und auf die Worte der Frauen vertrauen musste. Natürlich hatte er ein Schiff ausgesandt, das sich in der Nähe der Insel, auf der die Lösegeldübergabe stattgefunden hatte, aufgehalten hatte. Morgan wusste jedoch, dass Dark Flynn sehr schlau war, aber er war sich sicher, dass Eloise wichtige Hinweise aufseinen Schlupfwinkel würde liefern können. Nun, dann würde er eben abwarten, spätestens in zwei oder drei Tagen musste Eloise sprechen. Länger konnte und wollte Morgan nicht warten, wenn es noch eine Chance geben sollte, dass er sein Geld wieder zurückbekam.
12. Kapitel
Morgans Plantage, Jamaika, Juli 1767
Das Anwesen von David Morgan glich einer Festung. Eine mindestens neun bis zehn Fuß hohe Mauer war mit einem massiven Tor verschlossen, das geöffnet wurde, als die Kutsche darauf zuhielt. Sie fuhren eine knappe halbe Meile weiter und erreichten dann eine zweite Mauer, wo erneut sofort zwei dunkelhäutige Männer herbeiliefen, um ein weiteres Tor zu öffnen. Erst als sie dieses passiert hatten, kam das Herrenhaus in Sicht. Zweistöckig, aus weißem Stein erbaut, strahlte es im Sonnenlicht, dennoch wirkte das Haus auf Eloise fremdartig und abweisend. Morgans Haus hatte Ähnlichkeit mit dem Flynns, aber es war größer und wirkte fast schon trutzig. Eloise spürte eine Beklemmung, als würde sie in ein Gefängnis und nicht in ihr neues Zuhause kommen.
Während der Fahrt hatte David Morgan nur selten das Wort an sie gerichtet, und Eloise hatte ihn aus den Augenwinkeln beobachtet. Sie fragte sich, ob der verkniffene Zug um seinen Mund, die beiden steilen Falten, die sich von den Nasenflügeln nach unten zogen, bereits im letzten Herbst da gewesen waren. Und war damals sein Haar an den Schläfen auch schon ergraut gewesen? Leichte Panik befiel Eloise. Wenn sie David Morgan so betrachtete, sah sie in ihm eher einen väterlichen Freund und nicht den Mann, dessen Ehefrau sie bald werden sollte. Vor ihr inneres Auge schob sichdas Gesicht von Dark Flynn. Trotz der Maske war es ihr nie abstoßend erschienen. Ob Betty wohl sein richtiges Gesicht kannte? Vor der Frau, mit der der Pirat das Bett teilte und die sein Kind unter ihrem Herzen trug, würde er doch bestimmt keine Geheimnisse haben. Unwillkürlich seufzte Eloise und zog Morgans Aufmerksamkeit auf sich.
»Geht es dir gut, meine Liebe?«, fragte er besorgt.
»Es ist nur die Hitze, und ich bin erschöpft«, antwortete Eloise schnell und versuchte, die Erinnerung an Flynn aus ihrem Kopf zu vertreiben.
Die Kutsche hielt vor dem Portal, und ein schwarzer Diener beeilte sich, den Schlag zu öffnen. Morgan würdigte den jungen Mann keines Blickes und half Eloise auszusteigen. Kate kletterte ohne Hilfe hinter ihnen aus der Kutsche und sah sich interessiert um, dann legte sie eine Hand auf Eloises Arm.
»Du solltest dich eine Weile hinlegen und ausruhen.«
Morgan deutete auf eine Ansammlung von vier einstöckigen Nebengebäuden und sagte, zu Kate gewandt: »Du wohnst dort drüben, ein Diener wird dir den Weg zeigen.«
»Was?« Eloise sah David erstaunt an. »Kate soll nicht im Herrenhaus wohnen? Aber sie ist meine Zofe …«
»Und damit ein Dienstbote«, unterbrach Morgan. »Sie wird dir, wenn du sie brauchst, jederzeit zur
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