Geliebter Freibeuter
fünf Tagen … vielleicht waren es auch sechs …« Eloise hob den Kopf und sah beide Männer um Entschuldigung bittend an. »Man verliert in einer solchen Lage leicht das Zeitgefühl, Ihr versteht? Also, irgendwann wurden uns die Augen verbunden, wir mussten ein kleines Boot besteigen und wurden an Land gebracht. Wir konnten erst wieder etwas sehen, als wir uns in einem Zimmer befanden, das wir die nächsten Wochen nicht verlassen durften.«
»Das ist ja furchtbar!«, rief Sir Trelawny voller Mitgefühl. »Ihr müsst große Angst gehabt haben, Mylady.«
Eloise dankte mit einem Nicken. Ein wenig hatte sie ein schlechtes Gewissen wegen ihrer Lüge, aber sie wollte nicht, dass es noch mehr Blutvergießen geben würde.
»Man hat euch bestimmt in den geheimen Schlupfwinkel Flynns gebracht.« Morgan trommelte nervös mit den Fingern auf die Tischplatte. »Kannst du die Insel beschreiben, Eloise?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Es tut mir leid, aber Kate und mir wurde nur der Ausblick aus unserem Fenster in einen recht verwilderten Garten gestattet. Als man uns dann zu dieser anderen Insel brachte, von der Captain Carrick uns abgeholt hat, wurden uns erneut die Augen verbunden.«
Der Gouverneur beugte sich gespannt vor, als er seine nächste Frage stellte.
»Habt Ihr diesen Flynn gesehen?«
Eloise war über das Eintreten Dottys dankbar, die den nächsten Gang servierte und damit für einige Zeit die Aufmerksamkeit der beiden Männer auf sich zog. Somit entging ihnen das kurze Flackern in Eloises Augen, als Flynns Namen fiel. Auch auf diese zu erwartende Frage hatte sie sich eine Antwort zurechtgelegt.
»Nein, Sir, er trat nicht selbst in Erscheinung. Wir wurden lediglich durch einen seiner Männer über alles informiert.«
»War es dieser rothaarige Kerl, von dem Captain Carrick berichtete?«, fragte Morgan und wartete gespannt auf Eloises Antwort.
Nun konnte Eloise nicht leugnen, Cubert gesehen zu haben, denn vor den Augen der Mannschaft der
Queen Beth
waren sie und Kate ja von ihm auf das Piratenschiff geführt worden.
»Ja, David, aber sein Name wurde nie genannt, ebenso wenig wie wir jemals einen anderen Namen hörten.«
Obwohl all diese Worte leicht über Eloises Lippen gekommen waren, wunderte sie sich, wie mühelos sie lügen konnte. Sie fragte sich, ob es richtig war, was sie tat, aber gleichzeitig wusste sie, dass sie Flynn nicht verraten würde. Was war aus ihrem einstigen Hass auf den Piratenkapitän geworden? Noch vor einigen Monaten war sie in Rage geraten, wenn nur sein Name gefallen war, und sie hätte gejubelt, wenn man Flynn gehängt hätte, aber jetzt wollte sie, dass ihm kein Leid geschah – und das, obwohl er sie so verletzt hatte und sie glauben ließ, tiefe Gefühle für sie zu empfinden …
Eloise konnte nicht verhindern, dass ihre Mundwinkel zuckten und sich eine Träne aus ihrem Augenwinkel löste. Sofort drückte David beruhigend ihre Hand und sagte mitfühlend:»Ich glaube, es ist genug, Sir Trelawny. Meine Verlobte ist immer noch sehr mitgenommen. Wir müssen ihr Zeit lassen, all das zu vergessen.«
Morgans Stimme war warm und zärtlich, kein Vergleich zu der harschen Art, die er am Mittag gezeigt hatte. Jetzt gab er sich so, wie Eloise ihn kennengelernt hatte. Wahrscheinlich hatte sie sich zuvor getäuscht und war zu müde gewesen, um die Besorgnis Davids zu erkennen. Sie hob den Kopf und bemühte sich um ein dankbares Lächeln.
»Du hast recht, David. Tatsächlich möchte ich die letzten Wochen so schnell wie möglich vergessen, darum wäre ich dir dankbar, wenn wir nicht mehr von den Piraten sprechen könnten.«
David nickte und gab Dotty mit einer Handbewegung den Befehl, die Gläser mit Wein zu füllen. Während des restlichen Abends – der Gouverneur verabschiedete sich unmittelbar nach dem Essen – drehte sich das Gespräch um alltägliche Themen wie das Wetter, und David berichtete von einem Ball in Kingston, an dem sie teilnehmen würden. Eloise hörte nur mit halbem Ohr zu, ihre Gedanken waren weit fort. Später, als es Zeit wurde, sich zurückzuziehen, wagte Eloise, das Gespräch noch mal auf Kate zu bringen.
»David, ich bitte dich, Kate ins Herrenhaus ziehen zu lassen. Neben meinem Zimmer ist eine Kammer, die so aussieht, als wäre sie für eine Dienerin eingerichtet worden. In England ist es durchaus üblich, dass die Zofen in der Nähe ihrer Herrinnen wohnen.«
David, durch den reichlichen Alkoholgenuss etwas gnädiger gestimmt, bereute längst seine Worte vom
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