Geliebter Fremder
vielleicht«, warf Rachel irgendwann ein. »Wie kann er so sicher sein, dass er nicht Lord Hawksworth ist?«
Lara stieß einen zitternden Seufzer aus und schüttelte den Kopf. »Der echte Hunter ist tot«, sagte sie traurig. »Es hat keinen Sinn, etwas anderes zu behaupten. Dieser Mann ist nicht mein Gatte. Ich glaube, ich habe es die ganze Zeit über gewusst, aber ich wollte mich der Wahrheit nicht stellen. Ich ließ es geschehen, weil ich ihn wollte. Was bin ich nur für ein Mensch, Rachel?«
»Dich trifft keine Schuld«, entgegnete ihre Schwester resolut. »Du warst einsam. Du warst noch nie zuvor verliebt…«
»Es gibt keine Entschuldigung für das, was ich getan habe. O Gott, ich schäme mich so! Und ich liebe ihn immer noch! Ich will ihn nicht gehen lassen!«
»Musst du das denn?«
Die Kühnheit dieser Frage verschlug Lara den Atem. Erstaunt starrte sie ihre sonst so prinzipientreue Schwester an, bevor sie erwiderte: »Es gibt tausend Gründe … aber ausschlaggebend ist, dass alles, was er gesagt oder getan hat, eine Lüge ist. Ich bedeute ihm nichts weiter als ein Mittel zum Zweck.«
»Er hat sich so benommen, als ob er dich wirklich liebt.«
»Nur weil es gut in seine Pläne gepasst hat.« Lara wurde tiefrot. »Oh, wenn ich daran denke, wie leicht ich es ihm gemacht habe … Die arme Witwe, die sich nach Liebe sehnte …« Sie barg ihr Gesicht an Rachels Knien und begann erneut zu schluchzen. »Ich habe erst jetzt begriffen, wie behütet ich gelebt habe. Selbst Hunters Tod hat mich nicht so sehr getroffen. Er ist in den zwei Jahren unserer Ehe ein Fremder für mich geblieben. Aber dieser Mann ist aufgetaucht wie aus einem Traum und hat mein ganzes Leben in Besitz genommen … und ich habe ihn geliebt. Jeden Augenblick mit ihm. Und wenn er geht, nimmt er mein Herz mit sich. Er hat mich für jeden anderen untauglich gemacht.«
Sie redete und weinte ohne Unterbrechung, bis sie schließlich völlig erschöpft war. Ihr Kopf sank in Rachels Schoß und vor Erschöpfung nickte sie für ein paar Minuten ein. Als sie erwachte, waren ihr Hals und ihre Schultern ganz steif. Einen Augenblick lang dachte sie, sie habe einen Albtraum gehabt, und ihr Herz pochte hoffnungsvoll. Ein Blick in Rachels Gesicht jedoch sagte ihr, dass der Albtraum Wirklichkeit war.
»Was willst du jetzt tun?«, fragte Rachel leise.
Lara rieb sich die rot geweinten Augen. »Ich muss Lord und Lady Arthur eine Nachricht schicken«, sagte sie. »Sie müssen den Titel zurückbekommen. Er steht ihnen rechtmäßig zu. Ich schulde ihnen jede Unterstützung. Was Hunter angeht …« Sie brach ab. »Er kommt morgen aus London zurück«, sagte sie. »Ich werde ihm raten zu fliehen, damit sie ihn nicht einsperren. Sonst würde er wahrscheinlich gehängt, nicht nur wegen dem, was er mir angetan hat, sondern wegen des Betrugs, den er im Namen meines Gatten begangen hat. Verträge, Investitionen, Hypotheken … O Gott, nichts davon ist gültig.«
»Was ist mit deiner Schwangerschaft?«, fragte ihre Schwester leise.
»Das braucht niemand zu wissen«, erwiderte Lara sofort. »Vor allem er nicht. Das geht ihn jetzt nichts mehr an.
Das Kind gehört mir, mir allein.«
»Wirst du es behalten?«
»O ja.« Lara legte die Hand auf ihren Bauch und bemühte sich, einen neuerlichen Tränenstrom zu unterdrücken.
»Ist das falsch, dass ich dieses Kind trotz allem will?«
Rachel strich ihr über den Kopf. »Nein, Liebste.«
Nach einer unruhigen Nacht erwachte Lara am nächsten Morgen mit erschöpfter Entschlossenheit. Sie hätte lieber getrauert, so als ob jemand gestorben sei, aber stattdessen zog sie ein blaues Kleid mit Seidenstickerei an Mieder und Saum an. Das Haus wirkte düster auf sie. Sie würde den Dienstboten, Freunden und Bekannten in Market Hill alles erklären müssen … und Johnny. Wie sollte sie dem Kind verständlich machen, was geschehen war, wenn sie es selbst nicht einmal verstand? Der Gedanke an das, was vor ihr lag, erfüllte sie mit unendlicher Erschöpfung.
Wenn alles vorbei war, schwor sie sich, wenn Hunter aus ihrem Leben verbannt und der Titel an Arthur und Janet zurückgegeben war, dann würde sie diesen Ort für immer verlassen. Vielleicht würde sie sich in Frankreich oder Italien ein neues Leben aufbauen. Vielleicht gelang es ihr auch, Rachel zu überreden, mit ihr zu kommen. Der Gedanke daran, neu anfangen zu müssen, trieb ihr erneut die Tränen in die Augen.
Sie überlegte, wie lange Hunter – sie wusste nicht,
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