Geliebter Fremder
Soldaten und einen weiteren Mann aus meiner Eskorte töteten. Sie wollten gerade kurzen Prozess mit mir machen …«Er schwieg und die Erinnerung trieb ihm den Schweiß auf die Stirn. »Und dann kam plötzlich er wie ein Schatten aus der Nacht und überwältigte zwei meiner Angreifer so rasch und mühelos, dass die anderen flohen und schrien, er sei vom Rachegott gesandt. Damals habe ich ihn zum letzten Mal gesehen … bis er als Lord Hawksworth wieder vor mir stand.«
»Die Narbe an seinem Nacken …«, fragte Lara intuitiv.
Tyler nickte. »Während des Kampfes hat sich einer der Rebellen meines Schwerts bemächtigt. Ihr ›Hawksworth‹ hatte Glück, dass er nicht enthauptet wurde. Er ist sehr wendig im Kampf.« Er zog sein Taschentuch hervor und tupfte sich die Stirn ab. »Er ist kein gewöhnlicher Mann, Mylady. Wenn ich Ihrer Forderung nachkomme, möchte ich für den Schmerz und das Unglück, das er Ihnen in Zukunft vielleicht bereitet, nicht verantwortlich gemacht werden.«
Lara lächelte ihn voller Gewissheit an. »Ich glaube, er verdient mein Vertrauen. Ich habe keinen Zweifel daran, dass er ein vorbildliches Leben führen wird, wenn er nur die Chance dazu bekommt.«
Er sah sie an, als sei sie entweder eine Heilige oder eine Irre. »Verzeihen Sie mir, aber Sie verschenken Ihr Vertrauen zu leicht, Lady Hawksworth. Ich hoffe von ganzem Herzen, dass dieser Mann sich als Ihrer würdig erweist.«
»Das wird er«, sagte sie, ergriff impulsiv seine Hand und drückte sie. »Ich weiß, dass er das tun wird, Captain.«
Lara hatte nur eine Stunde im Vorzimmer zum Büro des Lordkanzlers gewartet, aber es kam ihr vor wie eine Ewigkeit. Nervös kauerte sie auf der Kante eines harten Holzstuhls, lauschte auf jedes Geräusch, das aus den Räumen zu ihr drang, und versuchte zu deuten, was gerade geschah.
Schließlich erschien ein Beamter und führte sie auf den Flur vor dem Büro des Lordkanzlers. Ihr Herz machte einen Satz, als sie den Captain herauskommen sah. Ihr fragender Blick kreuzte den seinen. Dann nickte er leicht. Es ist alles in Ordnung, schienen seine Augen zu sagen und ihre entsetzliche Anspannung ließ ein wenig nach.
Mit neuem Selbstvertrauen betrat Lara neben dem Beamten das Büro. Sunbury, der Lordkanzler, erhob sich von seinem Stuhl an einem schweren Mahagonitisch und wartete, bis Lara vor dem Tisch auf einem ledergepolsterten Stuhl Platz genommen hatte. Sunbury war eine beeindruckende Gestalt in seiner leuchtend roten Robe und seinem feisten Gesicht unter der silbrigen Perücke. Er spielte mit einem kleinen Taschenglobus mit winzigen gemalten Erdteilen und Lara sah, dass er drei schwere, goldene Ringe an der rechten Hand trug.
Sunbury hatte kleine, stechende Augen, die wach aus seinem fleischigen Gesicht blickten. Er besaß eine angeborene Bedeutsamkeit, die auch ohne Amt und Würden aufgefallen wäre. Lara hätte sich gar nicht gewundert, wenn sie ihm am Tag des Jüngsten Gerichts begegnet wäre, an der Himmelspforte, um die Qualifikationen der Einlass begehrenden Engel zu überprüfen.
Hunter zog ihren Blick wie ein Magnet auf sich. Er saß am langen Ende des Tisches. Das Dämmerlicht, das durch die Fenster drang, umspielte sein Gesicht und fast kam er ihr überirdisch vor, gut aussehend und schlank, gekleidet in cremefarbene Breeches, eine schwarze Weste und ein Jackett aus grün gestreiftem Samt. Er erwiderte Laras Blick nicht, sondern beobachtete unablässig den Lordkanzler, wie ein wildes Tier, das auf der Lauer liegt.
Der Raum war voller Menschen … einem Schreiber, der die Aussagen protokollierte, den Anwälten Eliot und Wilcox, dem Staatsanwalt, an dessen Namen sich Lara nicht erinnern konnte, Sophie, Arthur und Janet … und einem vertrauten Gesicht, bei dessen Anblick Lara vor Wut und Verblüffung erstarrte: Lord Lonsdale, aufs Eleganteste gekleidet in eine mit Schmetterlingen bestickte Seidenweste, Schuhe mit verzierten Schnallen und einer Diamantnadel in der Krawatte. Er lächelte sie an und seine blauen Augen glitzerten vor boshaftem Vergnügen. Was machte er hier? Über welche Informationen konnte er verfügen, die seine Anwesenheit an diesem Ort rechtfertigten?
Tausend Fragen und Einwände lagen ihr auf den Lippen, aber es gelang Lara zu schweigen. Sie blickte zu Sophie, die müßig mit einem langen Perlenstrang spielte, der über ihrem pfirsichfarbenen Kleid herunterhing.
»Jetzt wird die Wahrheit ans Licht kommen«, sagte Arthur triumphierend und blickte Lara auffordernd
Weitere Kostenlose Bücher