Geliebter Fremder
dann.«
»Wenn du Geld brauchst – und ich bezweifle, dass du noch besonders viel übrig hast –, dann würde ich dir gern etwas für das Waisenhaus geben.«
Er blickte auf ihre linke Hand, deren Finger sich um die Gabel wie um eine Waffe krampften. »Die Waisen können sich glücklich schätzen, so eine aufopfernde Schutzpatronin zu haben. Mach doch bitte eine Liste, was du für sie brauchst, und wir reden dann darüber.«
Lara nickte und nahm die Leinenserviette vom Schoß. »Danke, Mylord. Wenn du mich jetzt entschuldigen würdest, ich würde mich gern zurückziehen.«
»Noch vor dem Dessert?« Spöttisch grinsend blickte er sie an. »Erzähl mir bloß nicht, dass du nicht mehr verrückt nach Süßem bist.«
Lara musste sein Lächeln unwillkürlich erwidern. »Doch, das bin ich noch immer«, gab sie zu.
»Ich habe Mrs. Rouille gebeten, eine Bimentorte zu machen.« Hunter erhob sich und trat zu ihrem Stuhl. Er legte ihr die Hände auf die Schultern, als wolle er sie zwingen, sitzen zu bleiben. Leise murmelte er ihr ins Ohr: »Bleib wenigstens noch auf einen Bissen.«
Die samtene Rauheit seiner Stimme ließ sie erbeben. Er musste die winzige Erschütterung gespürt haben, denn sein Griff wurde fester. Etwas an seiner Berührung verwirrte sie zutiefst, eine sanfte Kraft, ein Gefühl von Besitz, gegen das sie sich zur Wehr setzte. Automatisch wollte sie ihn wegstoßen, aber als sie seine warmen Handflächen spürte, hielt sie inne. Unwillkürlich begann sie, die Form seiner langen Finger, seine Knöchel und seine Handgelenke zu erforschen. Er bog die Finger und leicht glitten ihre Hände über seine. Der Augenblick hielt an und die Stille wurde so tief, dass nur noch das leise Knistern der Kerzenflammen zu hören war.
Schließlich gab Hunter ein zittriges Lachen von sich und zog seine Hände zurück; als habe er sich verbrannt.
»Es tut mir Leid«, sagte Lara leise und errötete. »Ich weiß nicht, warum ich das getan habe.«
»Entschuldige dich nicht. Eigentlich …« Er kniete sich neben ihren Stuhl und blickte sie an. Seine Stimme war leise und ein wenig unsicher. »Ich wünschte, du würdest es noch einmal tun.«
Wie gebannt blickte sie in seine dunklen Augen. Er hielt ganz still, als wolle er sie ermutigen, ihn zu berühren, und sie ballte die Hände zur Faust, um sich davon abzuhalten. »Hunter?«, flüsterte sie.
Augenblicklich veränderte sich sein Gesicht und er lächelte traurig. »Du sagst meinen Namen immer so, als fragtest du dich, wer ich wirklich bin.«
»Vielleicht tue ich das auch.«
»Wer könnte ich denn sonst sein?«
»Ich weiß nicht«, entgegnete sie nüchtern. »Vor langer Zeit habe ich geträumt…« Ihre Stimme erstarb, als ihr bewusst wurde, was sie ihm gerade hatte anvertrauen wollen. Er hatte eine solche Macht über sie, dass sie ihm am liebsten ihre tiefsten Geheimnisse offenbart und sich ihm gegenüber verwundbar gezeigt hätte.
»Was hast du geträumt, Lara?«
Sie hatte von einem Mann geträumt, wie er einer zu sein schien … Sie hatte davon geträumt, umworben, hofiert und gestreichelt zu werden … Träume, die sie selbst Rachel niemals anvertraut hatte. Aber diese Fantasien waren verblichen, als sie Hunter begegnet war und die Realität der Ehe erfahren hatte. Pflicht, Verantwortung, Enttäuschung, Schmerz … Verlust.
Sie merkte nicht, dass ihre Gefühle sich auf ihrem Gesicht widerspiegelten, bis Hunter trocken sagte: »Ich verstehe schon. Jetzt gibt es keine Träume mehr.«
»Ich bin kein junges Mädchen mehr.«
Er lachte kurz auf. »Nein, du bist eine ältliche Matrone von vierundzwanzig Jahren, die es besser versteht, das Leben anderer Leute in Ordnung zu bringen als ihr eigenes.«
Lara schob ihren Stuhl vom Tisch weg und stand auf. »Ich habe auch mein eigenes Leben ganz gut gemeistert, vielen Dank.«
»Ja, das hast du in der Tat«, sagte Hunter ohne jeden Spott. »Und ich beabsichtige, es dieses Mal besser zu machen. Ich werde eine Verfügung auf dich ausstellen, damit du, sollte mir jemals noch einmal etwas passieren, angemessen versorgt bist. Keine Hütten mehr, keine schlecht sitzenden Kleider oder löcherige Schuhe.«
Ihm waren also sogar ihre abgetragenen Schuhe aufgefallen. Entging denn gar nichts seiner Aufmerksamkeit? Sie trat zur Tür und öffnete sie, dann blieb sie stehen und sah ihn an. »Ich werde nicht zum Dessert bleiben – ich könnte keinen Bissen mehr hinunterbringen. Gute Nacht, Mylord.«
Zu ihrer Erleichterung folgte er
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