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Geliebter Moerder - Eine wahre Geschichte

Geliebter Moerder - Eine wahre Geschichte

Titel: Geliebter Moerder - Eine wahre Geschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristin Ganzwohl
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gemeinsamen Zeit steht ein Prozess, eine längere Entwicklung, kein einzelnes Ereignis oder ein paar dumme Sprüche.
    Doch damals stieg Claus mit Grübeleien über diese Erinnerung in ein verhängnisvolles Gedankenkarussell ein, das nicht mehr anhielt, bis es zu spät war. Er hatte Zeit dafür, denn er hatte sich – wie geplant – von seinem Job beurlauben lassen, um seine Dissertation zu schreiben. Er musste morgens nicht im Büro erscheinen und nicht zu Kunden in andere Städte reisen. Claus hatte sich sehr auf diese Zeit gefreut: endlich mal kein Terminkorsett; freie Zeiteinteilung, ein ganzes langes Jahr, um sich in ein Thema zu vertiefen, das ihn interessierte. Er hatte sich ausgemalt, wie er sich an sonnigen Tagen mit seinem Laptop und den Büchern in einen ruhigen Teil des Englischen Gartens verziehen und jeden Abend Sport treiben würde. »Klar, so was kann auch stressig werden, aber ich wollte diese Monate genießen.«
    Stattdessen lag nun sein exakt geplantes Leben als Scherbenhaufen vor ihm – ein Leben, das er bisher für durch und durch kontrollierbar und steuerbar gehalten hatte. Nach außen hin reagierte er darauf relativ normal: Er ließ sich von seinen Kumpels trösten, ging mit ihnen abends aus, ließ sich sogar zu einem spontanen Kurzurlaub auf Kreta überreden, obwohl er dort auch schon mal mit Elke gewesen war, ihn also auf Schritt und Tritt Erinnerungen verfolgten. »Ich war wie ferngesteuert, bin einfach mitgeflogen und hab dann dort auch nur rumgeheult.«
    Seine Freunde verhielten sich so, wie Männer es eben tun, wenn ein Kumpel verlassen wird: Sie hauten Claus auf die Schulter, spendierten ein paar Runden Bier, deuteten in Bars oder am Strand auf hübsche Blondinen, lästerten ein wenig über Elke, rieten zu Ablenkung, zum Beispiel in Form eines tabulosen One-Night-Stands mit der sexy Club-Animateurin auf Kreta, und sagten Sätze wie: »Andere Mütter haben auch schöne Töchter« oder »Die hat dich doch gar nicht verdient« oder »Besser, es passiert jetzt als später mit Haus und Kindern« oder »An Liebeskummer stirbt man nicht«. Keiner von ihnen ahnte, wie sehr sie sich mit diesem letzten, gedankenlos dahingesagten Satz getäuscht hatten.
    Das Verständnis für Liebeskummer hat eine bestimmte Halbwertszeit, selbst bei sehr guten Freunden. Irgendwann hat keiner mehr die Kraft für stundenlange Gespräche, die sich immer nur im Kreis und um ein Thema drehen. Irgendwann ist auch der Vorrat an tröstenden Worten erschöpft, und man hat alle Ratschläge gegeben und alle Ablenkungsversuche vorgeschlagen, die es gibt. Der Frustpegel steigt, wenn man merkt, dass nichts zu helfen scheint und dass sich der Liebeskranke keinen Millimeter nach vorn bewegt. Hinzu kommt das Männerbild in unserer Gesellschaft – trotz aller Emanzipation und Gleichberechtigung sollen Männer Stärke zeigen und auch bei großem Kummer echte Kerle bleiben. Seien wir ehrlich: Männer machen sich lächerlich, wenn sie wegen einer Frauengeschichte weinen und monate- oder gar jahrelang für alle sichtbar trauern.
    Daher versuchte Claus natürlich, sich zusammenzureißen, doch es gelang ihm nicht. Seine Verzweiflung wurde nicht kleiner, sie wuchs immer mehr an, unbemerkt von allen anderen, seinen Freunden, seiner Mutter – und auch von Elke. Zurück vom Kurzurlaub, vernachlässigte er seine Promotion, seinen Sport, sich selbst und begann zu trinken.
    »Schon vormittags Bier, manchmal Wein, nachmittags Whisky, nachts alles, was ich in die Finger kriegen konnte. Ich hatte das Gefühl, es nur so ertragen zu können.«
    Die ganze Zeit grübelte er und dachte darüber nach, wie er Elke zurückgewinnen könnte, nichts anderes schien mehr wichtig.
    »Es gab in meinem Kopf nur noch Elke, Elke, Elke. Sie war die tollste Frau auf Erden. Es konnte keinen Ersatz für sie geben, da war ich ganz sicher.«
    Als er mir davon erzählte, fiel mir sofort der psychologische Fachbegriff dafür ein: »Protestphase«. Bei Liebeskummer durchläuft man im Normalfall verschiedene Phasen, genau wie bei der Trauer nach einem Todesfall – die sogenannte Protestphase ist die erste. Warum ich das so genau weiß? Für Frauenzeitschriften ist Liebeskummer ein Klassiker, der mit schöner Regelmäßigkeit immer wieder abgehandelt wird. Mal sind es Tipps, wie man damit fertig wird, mal ein Bericht über neue wissenschaftliche Erkenntnisse der Hirnforschung. Ich hatte ein ganzes Sonderheft zu diesem Thema betreut. Und auch wenn viele die Texte in

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