Geliebter Moerder - Eine wahre Geschichte
Therapiesitzungen hinter Gittern, war Claus damals völlig unerfahren, was Therapien und Therapeuten betrifft. Er ging ein paar Mal hin, fühlte sich unverstanden und nicht ernst genommen, kam aber nicht auf die Idee, die Praxis zu wechseln, sondern warf enttäuscht das Handtuch. Er sollte erst sehr viel später lernen, dass es häufig vorkommt, dass die Chemie zwischen Therapeut und Therapiertem nicht stimmt, und man dann besser schnell das Weite suchen und sich nach einem anderen Psychologen umsehen sollte. Wahrscheinlich fehlte ihm auch die Energie dafür, die wurde ja komplett vom Liebeskummer aufgefressen.
Inzwischen war zudem Misstrauen bei ihm gewachsen. Er fing damit an, Elkes alte Handyrechnungen durchzugehen, die er zu Hause fand. Auch die neuen konnte er kontrollieren, da sie immer noch an Elkes alte Adresse, also zu ihm, geschickt wurden. Er telefonierte nach und nach alle Nummern durch, die er in den Einzelverbindungsnachweisen fand und stieß so irgendwann auf die Nummer seines Nebenbuhlers, die Elke natürlich besonders häufig gewählt und für SMS genutzt hatte.
Diese Entdeckung machte Claus nicht etwa wütend oder rasend vor Eifersucht – sie ließ ihn noch mehr verzweifeln, vor allem, als Elke bei einem ihrer Treffen zugeben musste, dass es stimmte und sie ihn schon betrogen hatte, als für Claus die Welt noch in Ordnung zu sein schien.
Schon seit Längerem schrieb er eine Art Tagebuch auf seinem Computer. Er hatte damit angefangen, als er versucht hatte, die Literaturliste für seine Doktorarbeit anzulegen, und irgendwann entnervt aufgeben musste, weil er sich nicht konzentrieren konnte. Ich weiß nicht, ob Claus mir dieses Tagebuch zeigen würde, wenn ich ihn darum bäte. Aber selbst wenn er es wollte – er hat es nicht mehr; sein Computer wurde nach dem Mord von der Kripo beschlagnahmt. Seine schriftlich festgehaltenen Gedanken würden später eine große Rolle beim Prozess und der Urteilsfindung spielen, als es darum ging, ob es sich um Mord oder Totschlag handelt. Denn Claus äußerte nicht nur Selbstmordabsichten in diesem Tagebuch. Er schrieb, dass er nicht allein in den Tod gehen wolle. Sondern mit Elke.
Die Freunde
Wir sind inzwischen von unserem Weihnachtsurlaub auf Hiddensee zurück, wo wir auch Silvester gefeiert haben. Ich habe das Buch eines Mordermittlers gefunden, in dem steht, dass jeder Normalo unter bestimmten Umständen zum Mörder werden kann. Ich habe Claus’ unglaublich bezaubernde Mutter kennengelernt. Und wir finden ständig neue Gründe, um uns zu streiten. Dar über, ob meine Designerhandtasche in seinem Miniapar tment im Weg steht; ob der Kauf von Bio-Lebensmitteln sinnvoll oder rausgeschmissenes Geld ist; ob es »bodenlos leichtsinnig« ist, die Reißverschlüsse meiner Taschen nie zu schließen; ob in Nordkorea jemals eine Leichtathletik-Weltmeisterschaft stattgefunden hat (»In Nordkorea? Natürlich nicht. Absurd, lächerlich«, schnaube ich und google sofort im Smartphone, um es ihm zu beweisen); oder ob es im Zimmer warm genug ist. (Seinen Standpunkt belegt er stets mit dem Verweis auf sein Thermometer.) Über Claus’ Vergangenheit sprechen wir dagegen nicht so häufig. Oder vielmehr: Wir sprechen nur über bestimmte Teile, nämlich die Zeit im Gefängnis und danach.
Vielleicht sind die ganzen Streitereien um nichts und wieder nichts eine Art Ausweichmanöver – ich bin mir nicht sicher. Auch über meine Gefühle für ihn bin ich mir nicht mehr sicher – sie wechseln von Stunde zu Stunde. Mal möchte ich ihn in den Arm nehmen und küssen, mal von mir wegstoßen; dann wieder will ich ihm sagen, dass wir das »schon schaffen«, um direkt danach in Tränen auszubrechen und Bauchschmerzen vor Angst zu bekommen.
Schon in dem Moment, als mir Claus eröffnete, dass er ein Mörder ist, war mir sofort klar, dass dieses Geständnis mein gesamtes Leben beeinflussen und ändern würde. Ich misstraute daher meinem allerersten, reflexhaften Gedanken: Damit kann ich umgehen, das bekommen wir hin, an meinen Gefühlen für ihn ändert das nichts.
Tief in meinem Inneren wusste ich jedoch, dass das Geständnis Auswirkungen haben würde, von denen ich jetzt noch nicht einmal ansatzweise etwas ahnte, die wie Nebel durch Ritzen in meinen Alltag dringen und sich über alles legen würden. Ich konnte nur hoffen, irgendwie damit fertigzuwerden. Wie genau? Keine Ahnung.
Claus hatte den Zeitpunkt für die Aussprache ganz bewusst gewählt: Er war sich nach vier Monaten sicher,
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