Geliebter Moerder - Eine wahre Geschichte
Aber ich lebe damit. Und irre seit Wochen durch endlose Gefühlslabyrinthe, fühle mal so, mal so, mal ganz anders …«
»Das habe ich auch nicht anders erwartet – du etwa? Aber all das hat ja an deinem Entschluss nichts ändern können.«
»Ich glaube nicht.«
»Du glaubst?«
»Nein, ich weiß, dass ich es mit ihm versuchen will.«
»Dann werde ich dich dabei unterstützen. Und dir in diesem Gefühlslabyrinth zur Seite stehen, soweit ich das als Freundin eben kann.«
»Unterstützt du mich nur, weil ich mir das jetzt in den Kopf gesetzt habe und du die beste Freundin der Welt bist? Oder findest du es gut, dass ich bei ihm bleiben will.«
»Nachdem ich den ersten Schock überwunden habe – ja.«
»Ja – was?«
»Ich finde es gut. Wirklich.«
»Und du hast keine Angst mehr, dass er mir etwas antun könnte? Wie vor unserer Reise nach Hiddensee?«
Sie antwortet nicht sofort, sieht auf den Boden.
»Eigentlich nicht. Nein. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass dieser Mann noch mal gewalttätig wird.«
Dann hebt sie den Kopf und blickt mir direkt in die Augen.
»Und du selbst? Hast du Angst?«
»Sie wird kleiner. Aber manchmal ist sie noch da. Die Angst. Immer ganz kurz, wie ein Blitz zuckt sie durch mich hindurch.«
»Weiß Claus davon?«
Ich antworte nicht direkt auf ihre Frage.
»Letztes Wochenende … Also, da hat mich Leni angerufen.«
»Leni?«
»Claus’ Mutter.«
»Ach so. Lustig, eine Tante von mir heißt auch Leni. Und warum hat sie angerufen?«
»Ich habe ihr ein paar Ausgaben unserer Frauenzeitschrift zugeschickt; sie hatte mich darum gebeten, hat behauptet, sie wolle mal ein paar Geschichten von mir lesen. Weiß natürlich nicht, ob das stimmt. Wahrscheinlich wollte sie vor allem höflich sein. Sie rief an, um sich für dieses Paket zu bedanken.«
»Das ist ja süß von ihr, aber ich verstehe nicht ganz, in welchem Zusammenhang das jetzt steht?«
»Sie hat mich nicht erreicht. Obwohl Wochenende war. Nicht auf dem Festnetz zu Hause, nicht auf dem Handy, nicht auf meinem Diensthandy. Ich war da gerade bei Claus, hatte das eine Handy ausgeschaltet, das andere war in meiner Manteltasche, ich hab’s einfach nicht gehört. Also hat sie’s bei Claus probiert. Der ging nicht sofort ans Telefon, wollte noch irgendein Fußballspiel oder Handballspiel oder was weiß ich zu Ende gucken und danach zurückrufen. Vielleicht war er auch gerade unter der Dusche. Ich erinnere mich nicht mehr genau.«
»Und dann?«
»Jeder andere hätte es einfach später noch mal versucht. Sie aber hat nicht lockergelassen. Hat wieder und wieder angerufen. Ich hab’s erst später auf meinem Handy gesehen. Sie hat es sogar bei Claus im Büro probiert – an einem Sonntag …«
»Sie hatte Angst, dass etwas passiert ist.«
»Claus hat sie sofort zurückgerufen, als wir’s gemerkt haben, und sich entschuldigt. Hat gesagt, dass sie sich keine Gedanken machen müsse, dass alles in Ordnung sei. Und dass ich eine alte Handy-Chaotin sei, die immerzu das Klingeln überhöre oder sämtliche Handys ausgestellt habe.«
»Stimmt doch gar nicht.«
»Na, egal. Es war jedenfalls keine große Sache, auch nicht für Leni, nur ein kleiner, kurzer Moment der – nun ja, der Irritation.«
»Ich verstehe schon.«
»Ich fragte Claus nach dem Telefonat, ob sie sich wirklich Sorgen gemacht habe. Er meinte nur: ›Ja, klar, was denkst du denn?‹«
»Hm.«
»Ich glaube, diese kurzen Angstmomente sind bei allen da, die irgendwie davon betroffen sind. Nicht zuletzt auch deshalb, weil sich damals keiner in seinem Umfeld auch nur in seinen schlimmsten Albträumen hätte vorstellen können, dass so etwas passieren kann.«
»Dass Claus dazu in der Lage sein könnte, meinst du?«
»Ja. Es kam für alle völlig überraschend. Stell dir den Schock vor, das Trauma, das man danach entwickelt.«
Ich schließe die Augen und presse Daumen und Zeigefinger auf die Nasenwurzel – eine Entspannungsübung, die wir in meiner Frauenzeitschrift immer mal wieder empfehlen, weil es sich dabei angeblich um Akupunkturpunkte handelt, die bei sogenannter Aktivierung sofortigen Stressabbau bewirken. Bei mir im Moment leider nicht.
»Ich spreche mit Claus nicht darüber, weil ich mir irgendwie albern vorkomme mit diesen Ängsten. Sie sind auch so unberechenbar und folgen keiner Logik. Ich habe zum Beispiel keine Angst, wenn wir streiten, nicht mal, wenn es laut und heftig wird. Oder wenn wir einen Spaziergang in einem einsamen Wald
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