Geliebter Moerder - Eine wahre Geschichte
steckt.«
»Ja?«
»Na, denk doch mal an die deutsche Vergangenheit. Und daran, wie viele sogenannte Normalbürger quasi über Nacht zu Mördern, ja sogar Massenmördern wurden.«
»Der Vergleich hinkt etwas, finde ich.«
»Ja, er hinkt total, keine Frage. Da ging’s um ideologische Verblendung und was weiß ich noch alles. Aber diese Zeit zeigte, wie dünn unsere sogenannte zivilisierte Hülle und wie wenig nötig ist, um aus Durchschnittsmenschen Mörder zu machen.«
»Hm.«
»Okay, vergiss die Nazi-Vergleiche. Damit greift man eh immer daneben. Aber genau wie dein Mordermittler denke ich …«
»Er ist nicht mein Mordermittler!«
»Ist ja gut. Also: Genau wie dieser Autor denke ich, dass jeder von uns unter bestimmten Umständen zum Mörder werden könnte.«
»Hannah sagte das neulich auch. Sie meint, sie könne sich vorstellen, aus Rache zu morden, wenn zum Beispiel ihre kleine Schwester vergewaltigt worden wäre und der Täter nur milde bestraft würde. Oder wenn jemand Jan etwas Schreckliches antun würde.«
»Na, aber hallo. Das kann ich sehr gut verstehen. Du etwa nicht?«
»Doch, sicher. Ich würde mir dann sogar wünschen, dass der Täter richtig leidet. So wie das Opfer. Sozusagen das Aug’-um-Auge-Zahn-um-Zahn-Prinzip. Also nicht besonders fortschrittlich oder ethisch hochstehend.«
»Nein, aber menschlich.«
»Genau an dieser Stelle war ich auch schon mit Hannah. Aber was bedeutet das jetzt für mich und Claus?«
»Wenn man für sich selbst nicht ausschließen kann, dass man unter Umständen ähnlich oder genauso reagieren würde, gibt es keinen Grund, sich von diesem Menschen zu distanzieren. Oder anders ausgedrückt: Gib ihm ’ne Chance.«
»Ja, das hatte ich auch vor.«
»Am wichtigsten finde ich, dass es keinen Grund gibt, sich Sorgen um dich zu machen.«
»Du meinst wegen der Statistiken zum Thema ›Rückfallwahrscheinlichkeit‹?«
»Ja, genau. Aber auch wegen allem, was du so erzählst. Du sagst doch immer, dass er bei Auseinandersetzungen so ruhig und cool bleibt.«
»Ja, das macht mich noch mal wahnsinnig.«
»Mich beruhigt es eher. Ich würde mir Sorgen machen, wenn er bei jedem Streit das Mobiliar zertrümmern oder rumbrüllen würde.«
»So wie ich.«
»Na ja, du brüllst vielleicht ab und zu, aber das allein ist ja nicht besonders Furcht einflößend.«
»Du hast mich noch nie brüllen gehört.«
»Mag sein, aber wirklich beängstigend ist so ein Rumgebrülle ja nur, wenn man weiß, dass der Schreihals frü her einmal jemanden ermordet hat. Weil man das Brüllen dann als mangelnde Selbstkontrolle interpretieren kann. Und dann natürlich gleich Angst hat, dass er ein weiteres Mal die Beherrschung verliert.«
»Stimmt. Aber auch ich bin ziemlich ausgetickt, nachdem sich Oliver von mir getrennt hatte. In gewisser Weise habe ich damals auch die Beherrschung verloren.«
»Ehrlich gesagt musste ich daran auch denken, als du mir Claus’ Geschichte erzählt hast«, meint Sonja.
Ich kann es ihr nicht verdenken – sie, Hannah und Christiane waren damals monatelang Rettungsanker und Liebeskummerbeauftragte. Genau wie für Claus brach auch für mich eine Welt zusammen, als mir Oliver nach vier Jahren eröffnete, dass er sich trennen wolle, weil er sich »eingeengt« fühle und seine Gefühle für mich »verblasst« seien. Ich war am Boden zerstört, hatte das Gefühl, mein Leben sei zu Ende. Und ähnlich wie Elke für Claus wurde Oliver in meinem Kopf zu einer Art Superman, für den es keinen Ersatz geben konnte. Ich lief ihm wochenlang hinterher, machte mich dabei völlig zum Narren und klammerte mich an die Hoffnung, ihn zurückgewinnen zu können – eine Hoffnung, die von ihm genährt wurde, auf eine ganz ähnliche Weise, wie es Elke bei Claus gemacht hatte.
Oliver kam wenige Monate später reuevoll zu mir zurück, weil es mit seiner Neuen nicht geklappt hatte, nur um kurz darauf ein zweites Mal aus meinem Leben zu verschwinden. Ich hörte auf zu essen, schlief praktisch nicht mehr, arbeitete wie eine Verrückte und war kurz vor dem körperlichen und seelischen Zusammenbruch. Als dann meine Lieblingstante – die Schwester meiner Mutter – an Lungenkrebs starb und es wegen einer ungeklärten Erbschaftsfrage noch mehr Stress als gewöhnlich mit meinen Eltern gab, hatte ich ernsthaft Selbstmordgedanken. Ich suchte im Internet nach effektiven und schmerzlosen Methoden, entschied mich für den Einweggrill im hermetisch geschlossenen Raum (ohne Feuermelder) plus
Weitere Kostenlose Bücher