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Geliebter Moerder - Eine wahre Geschichte

Geliebter Moerder - Eine wahre Geschichte

Titel: Geliebter Moerder - Eine wahre Geschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristin Ganzwohl
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seiner Haftzeit noch mal studiert und hatte jetzt zusätzlich zu seinem BWL -Diplom einen Abschluss in Wirtschaftsinformatik von einer Fernuni.
    »Natürlich keine Promotion, aber besser als nichts. Ich habe immer behauptet, ich hätte den Ph. D. nicht gepackt, eine Art Burn-out bekommen und danach dieses Zweitstudium drangehängt. Das klingt halbwegs glaubhaft.«
    Mit »Burn-out« und »Doktorarbeit hinschmeißen« macht man zwar keinen guten Eindruck und empfiehlt sich nicht gerade für hoch bezahlte Spitzenposten, bei denen extrem hohe Belastbarkeit gefragt ist, aber es klingt immer noch besser als »Ich war im Knast«.
    Es klappte – Claus fand einen einigermaßen gut bezahlten Job im Umland von München und war dankbar für die Chance, die er bekam. Trotzdem lebt er seitdem stets mit der Angst aufzufliegen.
    »Am zweiten Arbeitstag bekam ich einen Anruf aus der Rechtsabteilung unserer Firma – ich sah es schon auf dem Display, bevor ich abhob. Ich erschrak fürchterlich und dachte mir: So, das war’s jetzt wieder. Doch es war nur ein Kollege, der sich vorstellen und mit mir ein erstes Meeting vereinbaren wollte, eine Art Begrüßungstreffen. Aber meine Güte, das war vielleicht ein Schreckmoment.«
    Claus hat inzwischen eine Art Notfallplan für sich ent wickelt, wie er vorginge, wenn seine Firma jemanden einstellen würde, der ihn von früher kennt und daher auch von seiner Vergangenheit weiß.
    »Ich werde sofort zu dem- oder derjenigen gehen und ganz offen sein. Ich werde fragen, ob er oder sie ein Problem hat, mit mir zusammenzuarbeiten, und wenn die Antwortet Ja lautet, werde ich wohl umgehend den Hut nehmen müssen. Wenn derjenige kein Problem damit hat, werde ich die Person um Verschwiegenheit bitten und darauf hoffen, dass sie sich daran hält. Eine andere Lösung gibt es in so einem Fall nicht.«
    Als er mir davon erzählte, musste ich daran denken, wie wir vor Kurzem beim Samstags-Frühstücksbrötchenkauf einem seiner Exkollegen über den Weg gelaufen waren, aus der Zeit, als er noch mit Elke zusammen war. Hätte ich Claus’ Vergangenheit nicht gekannt, wäre mir die Begegnung völlig normal vorgekommen. Es war ein typisches Und-was-machst-du-jetzt-so-Gespräch. Der Ex kollege hatte inzwischen in etwa die Position in einer großen, bekannten Firma, die auch Claus hätte erreichen können, wenn alles nach Plan gelaufen wäre. Kein Wort zur Tat oder zur Haft rutschte dem Exkollegen heraus, nicht die kleinste Bemerkung. Nur die vielen schnellen Blicke in meine Richtung verrieten seine wahren Gedan ken: Weiß sie es, oder weiß sie es nicht? Was darf ich sagen und was nicht? Ich war nahe daran, ihn darauf anzusprechen, aber ich habe mich nicht getraut.
    Geheimniskrämerei ist inzwischen Teil meines Lebens geworden, und sie strengt mich extrem an. Sie erschöpft mich manchmal so sehr, dass ich mich von allen und allem zurückziehe und am liebsten allein zu Hause bleibe. Ich fühle mich jedes Mal geradezu erleichtert, wenn ich mit Menschen zusammen sein kann, die Claus’ Vorgeschichte kennen und die ich daher nicht belügen muss, wenn sie mich fragen, wie es mir geht, wie es mit uns läuft und ob wir denn langsam auch mal übers Zusammenziehen nachdenken; Menschen, die verstehen, wenn ich sage, dass mich die Situation sehr beschäftigt und belastet, mich immer wieder an der Beziehung zweifeln und mich auch zögern lässt, mich beispielsweise voller Elan in die Wohnungssuche oder in die Berechnung meiner fruchtbaren Tage zu stürzen, auch wenn sich Claus das so sehr wünscht. Denen ich ganz offen und ehrlich sagen kann, dass ich gerade bedrückt und traurig bin, ohne irgendwelche Ausreden erfinden zu müssen.
    Doch sosehr ich mich danach sehne, meine Freunde einzuweihen, habe ich jetzt, da ich mich entschieden habe, es zu tun, auch ein wenig Angst vor ihrer Reaktion. Was, wenn sie alle entsetzt reagieren, mir von der Beziehung abraten, Claus ablehnen und davor zurückschrecken, mit ihm Kontakt zu haben? Was, wenn beispielsweise Christiane nicht möchte, dass ihr vierjähriger Sohn Leon, mein geliebtes Patenkind, mit einem Mörder zusammentrifft? Wie soll ich in so einem Fall reagieren?
    Natürlich wünsche ich mir ehrliche Meinungen, aber gleichzeitig habe ich Angst, sie zu hören. Denn eigentlich sehne ich mich nach Zuspruch, nach Verständnis, nach Sätzen wie Gib ihm eine Chance, er hat’s verdient oder Gemeinsam schafft ihr das – ich hatte mich ja längst entschieden, es mit Claus zu probieren.

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