Geliebter Moerder - Eine wahre Geschichte
betrogen und ihn verlassen. Und Oliver hat’s bei dir genauso gemacht. So etwas gehört zum Leben.«
»Das heißt nicht, dass man daran nicht verzweifeln kann. Ich habe nach der Trennung von Oliver auch die Kontrolle über mich verloren.«
»Ja, aber du hast niemanden ermordet.«
Mord – erst heute habe ich den Begriff mal wieder gegoogelt, fällt mir in diesem Moment ein. Laut einem Online- Lexikon ein »vorsätzliches Tötungsdelikt« in einer »beson ders verwerflichen Form«. Ein Zitat, das Johann Wolfgang von Goethe zugeschrieben wird, habe ich auch gefunden: »Es gibt kein Verbrechen, zu dem ich nicht fähig wäre.« Es tröstet mich ein wenig, dass selbst Goethe von sich dachte, dass er unter Umständen zum Mörder werden könnte.
Trotzdem fühle ich mich nach dem Telefonat mit Christiane extrem verunsichert. Sie hatte sich mit dem Rat verabschiedet, unbedingt und sofort eine Paartherapie zu beginnen – genau wie es auch schon Hannah vorgeschlagen hatte. Zudem bat sie mich, sofort anzurufen, wenn mir bei Claus oder in unserer Beziehung irgendetwas seltsam vorkomme. »Beim kleinsten Anzeichen. Jederzeit, Tag und Nacht. Bitte, versprich mir das.« Was ich dann auch tat.
Vielleicht mache ich gerade den größten Fehler meines Lebens?, frage ich mich. Und wie immer, wenn ich mich so fühle, blättere ich in meiner neuen Bibel, dem Buch von Mordermittler Josef Wilfling. Ich finde folgenden Ab satz: »Heute, nach 42 Jahren Polizeiarbeit, nach 22 Jahren Mordkommission, nach Bearbeitun g / Aufklärung von 361 vollendeten und etwa 850 versuchten Tötungsdelikten, ver stehe ich, was Goethe gemeint hat. Weil ich es Hunderte Male in der Praxis miterlebte. Es muss wohl doch so sein, dass jeder Mensch die Fähigkeit in sich trägt, zum Verbrecher zu werden. Ob diese je zur Entfaltung kommt, steht auf einem ganz anderen Blatt. Ähnlich sah es wohl der nicht weniger bedeutende Philosoph Immanuel Kant, der konstatierte, wir Menschen hätten zwar den Hang zum Bösen, unterlägen aber keinem Zwang, Böses auch tun zu müssen, da wir mit einem freien Willen ausgestattet seien.«
Und wieder stelle ich mir die Frage, was bei Claus passiert sein musste, dass bei ihm der Hang zum Bösen die Oberhand gewann.
Die Tat
Gedanken zur Tat
Ich spreche mit Claus sehr viel über seine Vergangenheit. Aber wenn ich ehrlich bin, vermeide ich ein Thema: die Tat selbst.
Natürlich hat er mir bei unseren Gesprächen den Ablauf kurz geschildert, auf eine Art und Weise, die verriet, dass er genau diese Sätze schon oft wiederholt hat. Vor der Polizei, dem Gericht, in Therapiesitzungen, vor seiner Mutter, seinen Freunden, vor sich selbst. Worte, die etwas beschreiben, was man mit Worten eigentlich nicht beschreiben kann. Ich habe an keiner Stelle nachgefragt. Ich wollte nur, dass er so schnell wie möglich zum Ende kommt, dass er aufhört, diese grauenvollen Worte auszusprechen.
Streit. Niedergeschlagen. Blut. Gewürgt. Tot.
Das reichte mir erst mal. Mehr wollte ich nicht wissen. Mir war klar, dass das nicht ewig so bleiben könnte, dass ich mich dem irgendwann würde stellen müssen, wenn ich mit Claus zusammenbleiben wollte. Aber erst später; wann genau, wusste ich selbst noch nicht.
Über alles andere dagegen haben wir inzwischen ausführlich und sehr häufig geredet: über die Zeit im Gefängnis, über seine Verzweiflung, den Selbsthass und die Trauer, seine Selbstmordabsichten in der Untersuchungs haft, den Alltag im Knast, die Gruppentherapien, die Methoden, mit dem Eingesperrtsein fertigzuwerden, den Sport und das Studium hinter Gittern. Und über Schuld und Schuldgefühle, die immer Teil seines Lebens bleiben werden.
Ich kenne auch kleine Details und Erlebnisse, die sich unauslöschlich in Claus’ Erinnerungen eingebrannt haben und die ihn auf Schritt und Tritt begleiten. So waren wir kürzlich bei einem Städtetrip über ein verlängertes Wochenende in einem Design-Hotel in Stockholm mit einem fantastischen Wellness-Bereich – weiter weg von Claus’ Vergangenheit konnte man eigentlich gar nicht sein. Doch sie holte uns auch hier ein. Besonders angetan hatte es mir in dem Spa der Saltroom, ein großer, minimalistisch eingerichteter Raum mit einer riesigen Wand aus quaderförmigen Salzkristallen, die von hinten beleuchtet waren und warmes, goldfarbenes Licht sowie – durch die Erwärmung – hauchfeinen Salzstaub verströmten. So wie in einem Salzheilstollen unter Tage konnte man sich dort auf Liegen ausruhen, die
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