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Geliebter Moerder - Eine wahre Geschichte

Geliebter Moerder - Eine wahre Geschichte

Titel: Geliebter Moerder - Eine wahre Geschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristin Ganzwohl
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würden.
    Die Buchstaben flimmerten vor meinen Augen. Ich las keinen der Artikel zu Ende, sondern schloss die Augen und drückte eine halbe Minute auf den Ausschaltknopf meines Mac. Selbst als der Bildschirm schon längst schwarz geworden war, drückte ich immer noch und dachte daran, wie mir Claus die Tat geschildert hatte.
    Er hatte Elke in dem Apartment besucht, in dem sie seit dem Auszug aus der gemeinsamen Wohnung allein lebte; es war kein Überraschungsbesuch – sie hatten sich verabredet. Die eigentliche Mieterin der kleinen Zweizimmerwohnung machte gerade ein Auslandssemester in Spanien, sie würden also allein sein. Claus hatte Reisekataloge dabei, wollte Elke zu einem gemeinsamen Urlaub überreden. Bei einem Telefonat hatte sie sich zu dieser Idee nicht ablehnend geäußert – er hatte also große Hoffnungen. Am Anfang lief alles gut, es kam sogar zu »Berührungen« und »Zärtlichkeiten«, wie Claus es mir gegenüber nannte. Doch dann stieß sie ihn plötzlich zurück und erklärte ihm klipp und klar, dass sie so nicht weitermachen könne, dass sie keine Zukunft für sie beide sehe und das Ganze hier und jetzt endgültig beenden wolle. Es kam zu einem heftigen Streit, in dessen Verlauf Claus Elke mit einer großen, etwa sechs Kilogramm schweren Altarkerze niederschlug und sie danach würgte, bis sie tot war.
    Das war alles, was ich wusste, was ich wissen wollte. Auch wenn mir klar war und ist, dass dies nicht ausreicht, wenn wir dauerhaft zusammenbleiben wollen.
    Bis mir Claus von seiner Vergangenheit erzählt hat, bin ich großer Fan dieser großen, schweren und ziemlich teuren Kerzen gewesen, mit der er Elke niedergeschlagen hatte. Ich liebte diese Kerzen, seit mir Thomas in unserer Studentenzeit mal eine geschenkt hatte; sie stammte aus einem bayerischen Wallfahrtsort, aus einem Laden für Kirchenbedarf, und hatte ihn für damalige Verhältnisse ein Vermögen gekostet. Ich hatte diese Kerze gehütet wie einen Schatz, sie hatte ewig gehalten. Einige Jahre später wurden diese Kerzen sehr modern, inzwischen muss man nicht mehr extra in einen Laden für Kirchenbedarf gehen, um sie zu bekommen. Seit Thomas’ Geschenk habe ich immer solche Kerzen besessen, in meinem Wohn- und im Schlafzimmer standen silberne Tabletts vom Flohmarkt, auf denen ich gleich mehrere solcher Kerzen in verschiedenen Größen aufgebaut hatte. Nach dem Geständnis habe ich sie jedoch alle sofort weggeworfen und kann seitdem Kerzenlicht nichts mehr abgewinnen, schon gar keine Romantik. Claus hat kein Wort dazu gesagt, als er merkte, dass die Kerzen fehlten. Er hat mich einfach in den Arm genommen. Gesprochen haben wir nicht darüber.
    Doch meine Gedanken kreisen auch ohne die Kerzen immer wieder um die Tat, fast jeden Tag werde ich daran erinnert. Plötzlich wimmelt es in der Welt um mich herum von Artikeln, Fernsehberichten und Filmen über Männer, die ihre Frau oder ihre Freundin töten. »Frauen sind nie in größerer Gefahr, gewaltsam ums Leben zu kommen, als nach einer Trennung«, springt mir die Zeile eines Zeitungsartikels ins Auge. »Die Hälfte der Morde an Frauen wird vom eigenen Partner verübt.« »Die eigenen vier Wände sind, statistisch betrachtet, der gefährlichste Ort der Welt – nirgendwo sonst passieren so viele Tötungsdelikte.« Und nicht nur in Zeitungen und Zeitschriften: Jeder Fernsehkrimi-Regisseur scheint nur noch eine Geschichte erzählen zu wollen – die vom Mann, der seine Frau, Freundin oder Geliebte ermordet.
    Ich weiß, dass dies ein typisches Phänomen ist: Wenn man etwas Neues gelernt hat oder sich intensiv mit etwas beschäftigt, scheint genau dieses Thema plötzlich überall aufzutauchen – veränderte Aufmerksamkeit nennt sich die ser Effekt. Aber das zu wissen hilft mir auch nicht weiter.
    Natürlich könnte ich diese Artikel überblättern und beim Fernsehen um- oder ausschalten, aber das schaffe ich nicht. Meine Augen bleiben daran kleben, so wie heute beim Friseur. Ich blättere mit nassen Haaren im Nachrichtenmagazin FOCUS und stoße auf einen Artikel mit der Überschrift »Der Mörder in uns«. Nicht zu fassen, denke ich, gibt es denn keine anderen Themen mehr? Ich verschlinge den Text und achte kaum auf die Friseurin, die mich mindestens vier Mal bittet, den Kopf beim Schneiden doch bitte gerade zu halten und mich nicht dauernd über die Zeitschrift zu beugen. Ich entschuldige mich, bin aber zu aufgewühlt zum Geradesitzen, besonders wegen eines Zitats des Polizeipsychologen,

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