Geliebter Moerder - Eine wahre Geschichte
Fensterbrett nach draußen, setze mich auf den Metallrahmen, dabei baumelt noch immer ein Bein nach innen. Ich blicke nach unten, zwölf Stockwerke liegen unter mir. Kein Vorsprung, kein Balkon, nichts würde den Fall nach unten bremsen. Man müsste sich nur richtig, also mit beiden Pobacken, auf das Fensterbrett setzen, mit den Beinen nach draußen natürlich, und sich dann abstoßen. Der in den Suizidforen empfohlene »todsichere« Sprung mit dem Kopf voran wäre so zwar nicht möglich, dafür müsste man sich auf das Fensterbrett stellen und dann eine Art Hechtsprung ins Nichts schaffen. Doch dazu hätte ich wahrscheinlich nicht mal den Mut, wenn ich komplett lebensüberdrüssig und völlig verzweifelt wäre.
Ich schwinge das zweite Bein nach draußen und sitze nun mit baumelnden Beinen über dem Abgrund, halte mich am Fensterrahmen so fest, dass die Knöchel hervortreten. Mein Herz klopft. Das hier ist gerade mehr als leichtsinnig.
Und schon wieder kommt mir ein Wäre-dies-ein-Horrorfilm-Gedanke. Wäre es einer, dann würden die bösen Mächte jetzt einen Windstoß schicken, der mich den Halt verlieren lässt. Im letzten Augenblick würde ich das Fensterbrett zu fassen bekommen, mich mit beiden Händen an den Metallrahmen klammern und langsam die Kraft verlieren, denke ich.
»Aber du würdest mich retten, Elke, nicht wahr?«, sage ich wieder leise.
Warum fühlt sich alles eigentlich immer so an, als wäre es ein Film und nicht mein stinknormales Leben? Habe ich immer noch nicht realisiert, dass das gerade wirklich passiert? Oder ist das einfach ein Schutzmechanismus meiner Psyche? Wahre ich auf diese Weise die nötige Distanz zu all den Ereignissen?
Ich höre, wie sich irgendwo eine Haustür öffnet, sehe hinter der Glastür einen Schatten vorbeihuschen – das erste Geräusch, die erste Bewegung seit einer halben Stunde. Vielleicht macht sich Batman auf den Weg zum Samstagseinkauf. Vielleicht ist es aber auch Batmans Freundin, die vor lauter Schreck gleich die Polizei ruft, wenn sie mich sieht und mich womöglich für eine Selbstmörderin kurz vor dem Absprung hält. Hastig klettere ich zurück und befestige das Plastiknetz wieder vor dem Fenster. Mein Herz klopft immer noch, als ich in den Lift steige, um nach unten zu fahren. Ich treffe kaum den Erdgeschoss-Knopf, so sehr zittern meine Hände.
Als Claus von seinem Triathlon zurückkommt, erzähle ich ihm von meinem seltsamen, schrecklichen Ausflug – noch bevor ich ihn danach frage, wie es bei ihm gelaufen ist und ob er wieder mal einen der vorderen Plätze erreicht hat. Er sieht mich lange an.
»Warum machst du so etwas nur, Kristin?«
Ich zucke die Achseln.
»Ich weiß nicht genau.«
»Ach komm, das glaubst du doch selbst nicht.«
»Ich konnte mir das einfach nicht vorstellen – du willst dich nach der Tat umbringen, entscheidest dich für einen Sprung von einem Hochhaus – und das ausgerechnet in München, wo es kaum Hochhäuser gibt. Und dann findest du auch gleich eines. Du spazierst einfach so hinein …«
»So einfach war das alles natürlich nicht.«
»Wie war es dann?«
Claus holt Luft und setzt sich mir gegenüber auf meinen antiken Küchenstuhl, den er so unbequem findet.
»Ich hatte dir doch erzählt, dass ich die ganze Zeit über Selbstmord nachgedacht habe, schon kurz nach der Trennung habe ich damit angefangen. Erinnerst du dich?«
»Ja, natürlich.«
»Und wie du dir vorstellen kannst, habe ich nicht nur darüber nachgedacht, sondern recherchiert und alles genau geplant.«
Klar. Genau wie ich es damals auch gemacht habe. Und so, wie ich dich kenne, hast du es bis ins kleinste Detail ausgetüftelt, denke ich, sage aber nichts. Brauche ich auch nicht, denn Claus bestätigt mit seinen nächsten Sätzen meine Gedanken.
»Wie viele und vor allem welche Schlaftabletten braucht man für einen Selbstmord? Wie vergiftet man sich mit Autoabgasen«, fängt er an. »Wie schneidet man sich die Pulsadern so auf, dass man auch wirklich verblutet? Ab welcher Höhe ist ein Sprung garantiert tödlich? Wo wirft man sich am besten vor einen Zug? Welche ist die sicherste, welche eine möglichst schmerzfreie Methode?«, zählt er auf.
Er sieht mir in die Augen.
»Und so weiter und so fort.«
»Und dabei hast du dieses Hochhaus gefunden?«
»Ich habe im Internet nach Häusern gesucht, die aufgrund ihrer Höhe infrage kommen, und habe sie nach und nach abgeklappert. Habe überprüft, ob man überhaupt reinkommt und ob man aufs Dach rauskommt
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