Geliebter Normanne
hatte sie von dem Augenblick an, als sie Penderroc Castle verlassen und sich in die Hände von Yven de Mantes begeben hatte, gewusst. Sie blickte Lady Elfgiva interessiert an.
»Erlaubt mir die Frage, wie es Euch ergangen ist, Mylady. Ich sehe, Ihr tragt kostbare Gewänder und fahrt in einem komfortablen Wagen. Wie kann es sein, dass Ihr mich aus dem Tower befreien durftet und mich nun in Euer Haus bringen könnt?«
Lady Elfgiva lehnte sich vor und strich kurz über Haylas Wange. »Ich verstehe, dass dir dies alles seltsam erscheinen mag, mein Kind. Nachdem Sir Leofric dich damals nach Cornwall in Sicherheit gebracht hatte, warteten wir in Fendenwic ängstlich darauf, was nun, nachdem die Normannen das Land erobert hatten, mit uns geschehen würde. Ich gebe zu, ich hatte bereits mit meinem Leben abgeschlossen. Das Schicksal wollte es jedoch, dass König William einen seiner besten Männer zu unserer Burg schickte – Sir de Mantes.«
»De Mantes?« Überrascht riss Hayla die Augen auf. »Yven de Mantes? Der Mann, der Penderroc Castle belagerte und mich nach London brachte?«
»Nein, mein Kind, Fendenwic fiel in die Hände seines Vaters Robert de Mantes. Er ist ein wirklich feiner Herr. Ein normannischer Edelmann durch und durch, der sich gegenüber Damen zu benehmen weiß.« Hayla entging nicht das Funkeln in Lady Elfgivas Augen. »Er ließ uns nicht nur am Leben, sondern behandelte uns auch unserem Stand entsprechend. So war es nur eine Frage der Zeit …«
Mit geröteten Wangen brach sie ab, und Hayla konnte sich den Rest zusammenreimen.
»Ihr habt de Mantes geheiratet«, stieß sie überrascht hervor.
»Ja, Mädchen, bereits zwei Monate nach der Eroberung entdeckten wir unsere Liebe zueinander. Robert war Witwer, und so wurde ich Yvens Stiefmutter. Wir bewohnen ein kleines Haus am Rande der Stadt, und mein Mann wie mein Stiefsohn genießen die Freundschaft von König William, der oft zu Gast in unserem bescheidenen Heim ist.«
Dass Lady Elfgiva, einst eine aufrechte angelsächsische Dame, nun eine normannische Adlige war, überraschte Hayla nicht. Sie selbst hatte ihr Herz an einen Normannen verloren, und niemals, auch wenn sie noch Jahre leben sollte, was jedoch unwahrscheinlich war, würde sie einen Mann jemals wieder so lieben wie Bosgard de Briscaut.
Das Gespräch wurde unterbrochen, als sie Lady Elfgivas Haus erreichten. Die Bezeichnung
klein
war stark untertrieben, denn das Gebäude ragte vier Stockwerke in die Höhe, hatte links und rechts einen Turm und war zinnenbewehrt. Zwei steinerne Löwen, die Lefzen grimmig in die Höhe gezogen, flankierten das Tor. Das Haus wirkte wie eine kleine Festung, und auch hier patrouillierten bewaffnete Männer mit Brustpanzern und Helmen. Als sie vor dem Eingang hielten, stieg zuerst Lady Elfgiva aus, dann wurde Hayla von der Wache aus dem Wagen gezogen. Die Tür des Hauses öffnete sich, und Hayla stieß einen leisen Schrei aus. Am liebsten wäre sie sofort wieder in den Wagen gestiegen und zum Tower zurückgefahren. Bevor sie irgendetwas sagen konnte, begrüßte Lady Elfgiva den Mann, der nun langsam auf sie zukam.
»Sir Ralph, seht, ich habe das Mädchen hergebracht. Es gab keine Probleme, und Hayla hat versprochen, eine folgsame Gefangene zu sein.«
Aus den Augenwinkeln sah Hayla, wie in Elfgivas Wangen erneut eine leichte Röte schoss, doch diesmal meinte sie, Unsicherheit in deren Augen zu erkennen. Ralph Clemency trat so dicht vor Hayla, dass sie seinen Atem in ihrem Gesicht spürte. Die dunklen Augen verengten sich zu Schlitzen, als er ihr zuflüsterte: »Ich wusste, wir sehen uns wieder, Hayla, und ich werde alles tun, um dir den Aufenthalt in diesem Haus so angenehm wie möglich zu machen. Gegen ein wenig Vergnügen, bevor der König dich zum Tod verurteilt, ist doch nichts einzuwenden, nicht wahr?«
Hayla wünschte sich, der Boden möge sich auftun und sie verschlingen. Liebend gerne wäre sie in die Zelle des Towers zurückgekehrt, als erneut mit Ralph Clemency ausgeliefert zu sein. Was hatte Lady Elfgiva mit diesem perfiden Spiel zu tun? Sie blickte sich um, aber die Lady war bereits im Haus verschwunden. Als einer der Wachmänner Hayla an der Schulter packte, um sie ebenfalls ins Haus zu führen, trat Ralph dazwischen.
»Danke, Mann, du kannst jetzt gehen. Ich werde der Gefangenen ihre Kammer zeigen. Ab sofort steht sie unter meiner persönlichen Bewachung.«
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22. Kapitel
H ayla fühlte sich wie in einem ihrer Alpträume gefangen, nur
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