Geliebter Normanne
Augenwinkeln, wie seine Männer sich ein Grinsen verbeißen mussten, und auch er musste unwillkürlich schmunzeln. Er wusste um Bruder Pierres höllische Angst vor großen Pferden und wie sehr der Geistliche an seinem Esel hing. Auch Jesus war auf einem Esel geritten, wie konnte er es dem Mönch dann verweigern? Bosgards Drohung, Jesaja in ein Pferd umzutauschen oder gar zu Wurst verarbeiten zu lassen, war natürlich Unsinn. Das wusste Bruder Pierre ebenso wie seine Männer. Bosgard de Briscaut war zwar ein mutiger Kämpfer, der in jeder Schlacht an der Spitze ritt und sich nicht zu töten scheute, um sein oder das Leben des Königs zu schützen, aber im Grunde seines Herzens liebte er die Tiere. Als Kind hatte er oft vom Muttertier verlassene Kätzchen oder Welpen mit der Hand aufgezogen, daher verstand er Bruder Pierres Bindung an seinen Esel sehr gut. Natürlich wäre Bosgard gerne schneller vorangekommen, andererseits – was spielte es für eine Rolle, ob er eine Woche früher oder später in Penderroc Castle eintraf? Sein Schwager Ralph Clemency hatte sicher alles unter Kontrolle und leitete den Besitz gemäß seinen Anweisungen.
Bosgard beschloss, eine Rast zu machen, und kaum hatten die Männer ihre Portion Brot und Käse verspeist, beschloss Jesaja, dass es nun an der Zeit war weiterzugehen, und er setzte sich leichtfüßig in Bewegung. Bruder Pierre schwang sich auf den Rücken des Esels und ritt dem Trupp voran. Nun konnte sich Bosgard ein lautes Lachen nicht mehr verkneifen, schwang sich seinerseits auf sein Pferd und folgte dem Mönch. Er schätzte, noch zwei oder drei Tage, dann würde er sein Land in Augenschein und in Besitz nehmen können.
Nie zuvor war Hayla über einen Schnupfen so froh gewesen wie in den letzten zwei Wochen. Obwohl sie sich körperlich wie erschlagen fühlte, war sie mit den verquollenen Augen und der roten Nase ein wenig schöner Anblick, und wenn sie hustete, wendeten sich die Männer von ihr ab. Sie schlief mit den anderen Frauen jetzt außerhalb des Herrenhauses in einer der Hütten am Rande der Palisade, aber immer wenn sie ihre Arbeit im Haupthaus verrichtete, folgten ihr Ralph Clemencys begehrliche Blicke. Er hatte sich ihr seit dem Vorfall in der Halle nicht mehr genähert, denn inzwischen hatte Ralph eine andere Magd gefunden, die in den kalten Nächten willig sein Lager teilte. Die Frau war zwar weder so jung noch so schön wie Hayla, aber Ralphs Körpersäfte kochten, und seine Leidenschaft konnte sich in dem drallen und willigen Körper der Magd entladen. Trotzdem versuchte Hayla, so gut es möglich war, Ralph aus dem Weg zu gehen. Den Gedanken an eine Flucht hatte sie vorerst verworfen. Selbst wenn es ihr gelingen sollte, unbemerkt Penderroc zu verlassen – sie hatte nicht die geringste Chance, den Normannen, die inzwischen das ganze Land besetzt hatten, zu entkommen. Da Hayla mit unbewegtem Gesicht den auf Französisch geführten Gesprächen der Männer, die sich auch unterhielten, wenn sie in der Nähe war, lauschte, hatte sie erfahren, dass Ralph Clemency gar nicht der rechtmäßige Herr von Penderroc Castle war. Die Burg und das Land waren vom König einem anderen Normannen übereignet worden, der wohl das bequeme Leben am Hof Williams vorzog und seinen Schwager geschickt hatte, den Besitz zu verwalten. Als Hayla diese Neuigkeit Waline erzählte, runzelte diese skeptisch die Stirn.
»Sosehr ich Ralph auch verabscheue«, sagte sie flüsternd, »ihn kennen wir nun und können seine Handlungsweisen einschätzen. Man darf ihn auf keinen Fall reizen und muss zusehen, dass er immer seinen Willen bekommt, sonst droht einer seiner gefürchteten Wutanfälle.«
Hayla nickte. Erst vor wenigen Tagen hatte Ralph einen Knecht mit einem Stock so sehr geprügelt, dass der Mann zwei gebrochene Rippen und Blutergüsse am ganzen Körper davontrug. Das alles nur, weil der Knecht angeblich das Zaumzeug von Ralphs Pferd nicht blank genug poliert hatte. Waline hatte das Servieren der Speisen in der Halle übernommen und wies Hayla Arbeiten außerhalb des Hauses an, damit diese Ralph so wenig wie möglich unter die Augen kam. Trotzdem war Hayla auf der Hut und vermied es besonders in den Abendstunden, wenn das Ale in Strömen floss und Ralph und seine Männer betrunken waren, allein in Penderroc Castle unterwegs zu sein.
Nach einer Nacht, in der die Normannen mal wieder fast bis zum Morgengrauen gezecht hatten und dann dort, wo sie saßen, von den Bänken gefallen und in
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