Geliebter Normanne
»Was treibt dich eigentlich dazu, wieder einmal ohne anzuklopfen in meine Kammer zu stürmen?«
Über die Zurechtweisung vor einer Magd knirschte Ralph mit den Zähnen. Bisher war ihr Gespräch auf Englisch geführt worden, jetzt wechselte er in die Sprache seiner Heimat.
»Eben kam ein Bote von Sir Geoffrey, dem der Besitz südwestlich von Penderroc gehört. Offenbar haben ein paar barbarische Angelsachsen sein Gut überfallen und schrecklich gewütet. Sir Geoffrey hat sich in der Burg verschanzt, aber er kann der Übermacht nicht mehr lange standhalten und bittet um Hilfe.«
»Gut, nimm dir zwei Dutzend Männer und brich sofort auf.«
»Und was ist mir dir?« Ralphs Blick glitt abschätzend über Haylas Körper. Er leckte sich die Lippen und grinste anzüglich. »Ich verstehe, du möchtest die Nacht lieber in den Armen einer willigen Magd verbringen, als deiner Pflicht zu kämpfen nachzukommen. Keine Sorge, mein Freund, ich kann dich gut verstehen und hoffe, diese Hure wird bei dir die Beine williger breit machen als bei mir.«
Hayla schoss das Blut ins Gesicht. Am liebsten hätte sie Ralph Clemency eine passende Antwort gegeben, aber sie beherrschte sich und versuchte, so zu tun, als hätte sie kein Wort verstanden.
»Es reicht, Ralph«, sagte Bosgard mühsam beherrscht. »Ich bin sicher, du bist der richtige Mann, um den Aufstand niederzuschlagen. Zudem – so etwas macht dir doch Spaß, nicht wahr? Du kannst jetzt gehen.«
Bosgards Worte und seine Handbewegung glichen einem Rauswurf, und Ralph schluckte eine heftige Erwiderung hinunter. Er warf einen letzten, abfälligen Blick auf Hayla, dann verließ er die Kammer. Die Tür fiel hinter ihm lauter als nötig ins Schloss.
Hayla beeilte sich, ihre Sachen zusammenzusuchen, als Bosgard neben sie trat und leise sagte:
»Das kleinere Übel … ich verstehe, Mädchen.« Er hatte ihre Entrüstung bemerkt, obwohl sie Ralphs beleidigende Worte wohl nicht hatte verstehen können, aber wahrscheinlich waren sein Gesichtsausdruck und seine Haltung deutlich genug gewesen. »Ich danke dir, Hayla, die Wunde schmerzt inzwischen kaum noch.«
»Ihr braucht Euch für eine Selbstverständlichkeit nicht zu bedanken.« Hayla nahm die schmutzigen Tücher und den Krug und wandte sich zur Tür. Doch sie zögerte. »Herr …«
»Hast du noch etwas auf dem Herzen?«, fragte Bosgard freundlich.
»Ja … nein … ich meine, ich wollte Euch nur sagen, wie gut Ihr inzwischen unsere Sprache beherrscht. Und es ist gut, dass Ihr sie lernt, denn ein Herr sollte den Leuten, die für ihn arbeiten, immer selbst sagen können, was sie zu tun haben. Sonst könnte es leicht zu … Missverständnissen kommen.«
Bosgard runzelte für einen Moment die Stirn, doch bevor er etwas erwidern konnte, hatte Hayla die Kammer bereits verlassen. Er ging zum Tisch und schenkte sich einen Becher Ale ein. Erstaunt bemerkte er, wie er sich über Haylas Kompliment, was seine Sprachkenntnisse betraf, freute. Obwohl es ihm schmeichelte, ärgerte er sich. Er war Bosgard de Briscaut, Spross eines alten normannischen Adelsgeschlechts und Herr von Penderroc Castle, Hayla hingegen war eine Magd. Zwar eine außergewöhnlich hübsche Magd mit den schönsten Augen, die er jemals gesehen hatte, aber eben doch nur eine Leibeigene ohne Erziehung oder gar Bildung …
»Genug jetzt!«, wies sich Bosgard laut zurecht. Mit einem gewissen Erschrecken stellte er fest, dass seine Gedanken in eine Richtung gingen, die nicht sein durfte. Wenn er wollte, könnte er Hayla in sein Bett holen und zu seiner Geliebten machen. Sie würde nichts dagegen tun können, denn sie musste seinen Befehlen folgen. Aber Bosgard spürte, dass er nicht eine flüchtige, leidenschaftliche Beziehung wollte, sondern mehr. Er sehnte sich nicht nur nach dem Körper einer Frau, sondern nach einer zärtlichen Hand, die ihn liebkoste. Und zwar nicht, weil es befohlen wurde, sondern weil die Frau es wollte. Er sehnte sich nach jemandem, der ihm erwartungsvoll entgegeneilte, wenn er nach Hause kam, der an seinem Leben Anteil nahm und der ihm Kinder gebären würde. Einen legitimen Sohn, keinen Bastard, sondern seinen rechtmäßigen Erben. Bisher hatte es in Bosgards aufregendem Leben keinen Raum für Gedanken an eine Ehe und an eine Familie gegeben, aber jetzt war er zur Ruhe gekommen und hatte einen Platz gefunden, an den er gehörte und wo er alt und grau werden könnte. Er durfte es nur nicht zulassen, dass bei dem Gedanken an eine Frau an seiner
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