Geliebter Normanne
königliche Siegel auf und las die wenigen Zeilen. Dabei verengten sich seine Augen, und er runzelte die Stirn.
»Der König fordert mich auf, mich unverzüglich nach London zu begeben. Ich soll mit den Boten, sonst jedoch mit keinem weiteren Gefolge und in leichter Rüstung reisen, damit wir die Hauptstadt so schnell wie möglich erreichen.«
Ralph Clemency trat neben Bosgard und warf einen Blick auf das Dokument, dann klopfte er Bosgard auf die Schulter.
»Hast du etwas verbrochen? Oder hält es der König ohne dich nicht mehr aus?« Er lachte spöttisch, und Bosgards Blick verfinsterte sich.
»Du weißt genau, dass ich mir nichts zuschulden kommen ließ. Wahrscheinlich braucht König William meine Hilfe bei einem Aufstand, obwohl er mich aus seinem Gefolge entlassen und mir versprochen hat, ich könne mich künftig ausschließlich um meinen Besitz kümmern.«
»Tja, Befehl ist Befehl.« Ein beinahe schon lauernder Ausdruck trat in Ralphs Augen. »Du solltest keine Zeit verlieren und dich sofort auf den Weg machen.«
Bosgard seufzte und schüttelte den Kopf.
»Es wird wohl reichen, wenn ich morgen früh aufbreche.« Er blickte die Überbringer der Nachricht fragend an. »Ihr seid bestimmt hungrig und müde. Bitte, esst und trinkt und sucht euch einen Schlafplatz, wir reiten bei Sonnenaufgang.«
Die in der Halle sitzenden Normannen hatten dem Wortwechsel aufmerksam gelauscht, während Hayla so tat, als hätte sie kein Wort von der in Französisch geführten Unterhaltung verstanden. Alles in ihr war in Aufruhr. Bosgard musste fort! Es war ein weiter Weg nach London und wieder zurück, und niemand wusste, wie lange der König ihn am Hof benötigen würde. Das bedeutete, dass Sir Ralph wieder die Aufsicht über Penderroc führen würde. In diesem Moment wandte sich Bosgard an Ralph und bestätigte Haylas Befürchtung.
»Solange ich fort bin, übertrage ich dir die Verwaltung der Burg und die Verantwortung für alles, was hier geschieht, Ralph. Du weißt, was zu tun ist. Du wirst die Bauarbeiten beaufsichtigen und die Auflistung der Bewohner und deren Besitztümer fortführen. Damit wirst du von früh bis spät beschäftigt sein und keine Zeit haben, auf dumme Gedanken zu kommen.«
Ralph neigte zustimmend den Kopf und tat, als habe er die unterschwellige Zurechtweisung nicht bemerkt.
»Es wird alles zu deiner Zufriedenheit erledigt, mein Freund.«
Täuschte sich Hayla, oder hatte sie für einen Moment ein triumphierendes Aufblitzen in Ralphs Augen gesehen? Sie seufzte verhalten. Mit Bosgards Fortgang würde die ruhige und sichere Zeit der letzten Monate vorbei sein. Sie selbst fürchtete, Ralph erneut ausgeliefert zu sein, denn Hayla hegte keinen Zweifel daran, dass er sich über Bosgards Befehle hinwegsetzte, sobald dieser außer Reichweite war.
Bosgard leerte seinen Weinbecher, dann blickte er in die Runde und sagte: »Ich werde mich nun in meine Kammer begeben, damit ich morgen früh ausgeruht bin.«
Hayla sah ihm nach, als er die Halle durchquerte und in dem Durchgang zum Turm verschwand. Wenig später, nachdem sie ihre Arbeit in der Küche beendet hatte, klopfte sie an Bosgards Tür. Nach seiner Aufforderung trat sie zögernd ein.
»Herr, habt Ihr noch Wünsche, bevor Ihr morgen fortreitet?«
Bosgard, der Hayla nicht hatte rufen lassen, freute sich über ihr unerwartetes Erscheinen. Eigentlich hatte er sich gerade zu Bett begeben wollen, doch jetzt fühlte er sich nicht mehr müde, sondern hellwach. Er deutete auf seinen über einer Stuhllehne liegenden Waffenrock.
»Die Naht eines Ärmels ist aufgerissen. Näh es mir fest, da ich den Rock morgen tragen möchte.«
Hayla nickte, griff nach dem Kleidungsstück und wollte die Kammer verlassen, als Bosgard rief: »Warte, du sollst es gleich hier an Ort und Stelle ausbessern.«
Hayla schluckte, und ihr Herz klopfte heftig.
»Selbstverständlich, Herr, ich hole nur schnell das Nähzeug.«
Binnen kurzer Zeit war sie zurück, entzündete ein Öllicht und machte sich an die Flickarbeit. Schnell und geschickt zogen ihre Hände den Faden durch den Stoff. Bosgard saß in einem Lehnstuhl und betrachtete die Magd. Hayla trug ihr schwarzes Haar zu einem dicken Zopf geflochten, der ihr bis auf den Rücken hing. Während sie nähte, hatten sich ihre vollen, roten Lippen leicht geöffnet, und konzentriert fuhr ihre Zungenspitze immer wieder über die Unterlippe. Bosgard fragte sich, wie es wohl wäre, diese sinnlichen Lippen zu küssen und ihre Zunge in seinem
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