Geliebter Normanne
Bosgard.«
»Es wartet kein König auf ihn.« Ralph zwinkerte listig. »Die Nachricht war gefälscht.«
»Aber ich habe das königliche Siegel doch mit eigenen Augen gesehen!«, warf einer der Männer erstaunt ein, und Ralph nickte.
»Es ist nicht schwer, es zu fälschen. Bosgard war über die Nachricht vom König viel zu aufgeregt, um einen genauen Blick auf das Siegel zu werfen, der ihm ein paar kleine Abweichungen vom Original verraten hätte. Ihr seht also, niemand wird Bosgard de Briscaut vermissen, und bis der König erfährt, dass er nicht mehr unter den Lebenden weilt, werde ich Penderroc längst zu meinem Eigentum gemacht haben, so dass William nichts anderes übrigbleibt, als es mir auch urkundlich zu übereignen.«
In Haylas Kopf arbeitete es fieberhaft, aber ihre Hände blieben ruhig, und ihre Stimme zitterte nur unmerklich, als sie an den Tisch trat, nach den restlichen Tellern griff und fragte: »Darf ich Euch noch etwas bringen, Herr?«
»Ha, wie kommt es, dass diese Wildkatze plötzlich so zahm ist?« Hayla musste es geschehen lassen, dass Ralph einen Arm um ihre Hüfte legte und ihr in den Hintern zwickte. »Für den Moment kannst du abräumen und gehen, mein Täubchen. Deine
Dienste
benötige ich erst heute Nacht.«
Die Männer grölten, aber Hayla verließ ruhigen Schrittes die Halle. In der Küche stellte sie die benutzten Teller auf den Tisch, dann sank sie seufzend auf einen Stuhl. Alle Kraft schien plötzlich aus ihren Gliedern entwichen zu sein. Waline sah sie erschrocken an.
»Hat Sir Ralph dich wieder befingert?«
»Das auch, aber das ist es nicht allein.« Hayla sprang auf. Plötzlich wusste sie, was zu tun war. »Waline, wenn Ralph oder jemand anderer nach mir fragt – sag, ich wäre zum Kräutersammeln in den Wald gegangen.«
»Was hast du vor?« Waline trat Hayla in den Weg. »Willst du fliehen?«
Hayla schüttelte den Kopf, nahm die Hand der alten Magd und drückte sie fest.
»Ich muss versuchen, Bosgard das Leben zu retten.« Waline verschlug es die Sprache, und Hayla rief, während sie auf dem Weg zur Hintertür war: »Ich weiß, du wirst mich nicht verstehen. Vielleicht verstehe ich mich selbst nicht, aber ich kann nicht zulassen, dass Bosgard de Briscaut feige und hinterrücks ermordet wird.«
Da weder Bosgard noch Ralph erwarteten, dass es jemand von den Mägden oder Knechten wagen würde, ein Pferd zu stehlen – denn darauf stand die Todesstrafe, wenn die Person erwischt wurde –, waren die Stallungen unbewacht. Hayla nahm sich nicht die Zeit, eines der Pferde zu satteln, sondern raffte ihren Kittel hoch und schwang sich auf den Rücken einer kleinen, aber drahtigen und zähen Stute.
»Du musst jetzt schnell wie der Blitz sein«, flüsterte sie dem Tier ins Ohr und strich ihm über die Blesse. »Wir müssen den Herrn einholen.«
Hayla überlegte, wie viel Vorsprung Bosgard hatte. Die Sonne war, bevor Hayla den Verrat mit angehört hatte, noch nicht lange aufgegangen. Mit einem kräftigen Schenkeldruck trieb sie die Stute an, die daraufhin in vollem Galopp über den Hof von Penderroc und dann in Richtung Osten preschte. In ihrem Rücken hörte Hayla aufgeregte Rufe. Man hatte ihre Flucht entdeckt, aber sie hoffte auf einen ausreichenden Vorsprung, bis die Ritter ihre Pferde gesattelt und sich in ihren Rüstungen und mit den Waffen an ihre Verfolgung machen konnten. Sie wusste, würde man sie erwischen, bevor sie Bosgard eingeholt hatte, wäre das ihr sicherer Tod, aber daran wollte und konnte sie jetzt nicht denken. Sie hatte keine Ahnung, wann und wo Bosgard von Ralphs Männern überfallen und getötet werden sollte, und mit jeder Meile, die sie ihr Pferd antrieb, wuchs in ihr die Angst, zu spät zu kommen. Der Schweiß rann ihr in Strömen über den Körper, der wollene Kittel klebte an ihrem Rücken, und die nackte Haut ihrer Schenkel scheuerte sich an dem Pferderücken wund. Hayla spürte jedoch keinen Schmerz, außer dem einen in ihrem Herzen, der ihr bewusst machte, dass sie nie wieder glücklich werden könnte, sollte Bosgard de Briscaut etwas geschehen. Von Penderroc aus gab es glücklicherweise nur einen einzigen befestigten Weg in Richtung London und auch nur eine Brücke, die den Fluss Tamar überquerte. Aus den Hütten des kleinen Dorfes am anderen Ufer kamen die Menschen gelaufen und starrten ängstlich der schwarzhaarigen Wilden nach, deren Augen dunkelviolett funkelten und die wie der Teufel persönlich an ihnen vorbeiflog. Der eine oder
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