Geliebter Normanne
Roger, Ritter Mandric und sein Gefolge Penderroc verlassen haben. Und wenn du nicht mehr hier bist …«
Verzweifelt schlug Hayla die Hände vors Gesicht. Nun war alles aus! Eine kurze, eine viel zu kurze Zeit war sie glücklich gewesen und hatte geglaubt, den Rest ihres Lebens an der Seite des Mannes, den sie von ganzem Herzen liebte, verbringen zu können. Angelsächsin und Normanne – dieser Unterschied schien keine Bedeutung mehr zu haben, denn ihrer beider Herzen waren ebenso wie ihre Seelen eins, und niemand würde sie jemals wieder trennen können.
»Es ist alles meine Schuld. Wie dumm ich war zu glauben, er würde mich lieben!« Hayla stöhnte und blickte verzweifelt Waline an. »Wie unsäglich dumm und naiv, und ich habe alles verdorben, weil ich Bosgard nicht von Anfang an die Wahrheit gesagt habe. Zumindest die Wahrheit, dass ich ein Mündel Harolds war. Ich kann ihn sogar verstehen, wenn er mir nicht glaubt, dass ich nicht gewusst habe, wer mein richtiger Vater ist. Ich an seiner Stelle würde wahrscheinlich nicht anders handeln …« Die letzten Worten gingen in verzweifeltem Schluchzen unter.
»Du musst Mandric nicht heiraten.« Waline sah sie beschwörend an. »Niemand kann dich dazu zwingen, und es ist fraglich, ob Mandric seine Drohung, den König gegen dich aufzuhetzen, wahr macht. Wenn du diesen … Normannen … wirklich liebst, dann steh zu ihm!« Hayla sah die alte Magd verwundert an, und Waline fuhr nachdenklich lächelnd fort: »Du wunderst dich sicher, dass ich dir rate, auf dein Herz zu hören, weil ich seit Monaten gegen eine Verbindung zwischen euch beiden war. Aber ich möchte dich nicht leiden sehen, und wenn dein Glück an der Seite Bosgard de Briscauts ist, dann soll es eben so sein. Hayla, lass Mandric ziehen und gehe nicht mit ihm. Bosgard wird zurückkommen und dann …«
»Du verstehst nicht, Waline!«, unterbrach Hayla. »Er will mich nicht! Er hat mich verlassen und ist nicht bereit, den Kampf gegen die anderen aufzunehmen. Nein, er kneift und wird diese Constance heiraten. Das kann ich sogar verstehen, denn immerhin steht sein ganzer Besitz auf dem Spiel, wenn er es nicht tut. Von dem Ärger, den er sich mit König William einhandelt, mal ganz abgesehen. Nein, Bosgard de Briscaut hat den für ihn einfachen Weg gewählt, und ich werde ihn nicht daran hindern.«
»Ach, Hayla.« Waline schenkte einen neuen Becher ein und trank selbst einen Schluck. »Es ist deine Entscheidung, aber eines sollst du wissen: Gleichgültig, was du nun tun wirst, ich werde dich begleiten. Das heißt, wenn du mich weiter an deiner Seite haben willst.«
Gerührt schloss Hayla die alte Frau in ihre Arme.
»Was ist das für eine Frage, Waline? Ich glaube, auf der ganzen Welt bist du der einzige Mensch, dem ich vertrauen kann. Bitte, lass mich nie allein.«
Bosgard ritt bis zum Einbruch der Dunkelheit. Er gönnte seinem Hengst keine Schonung und trieb das edle Tier so lange an, bis am Horizont das blaue Band des Meeres schimmerte. Nie zuvor war er an der Südküste Cornwalls gewesen, und obwohl um ihn herum eine faszinierende Landschaft mit hohen, steilen Klippen lag, hatte Bosgard keinen Blick für die Schönheit der Gegend. Auf einer Klippe zügelte er sein Pferd. So weit sein Auge reichte, sah er keine Ansiedlungen oder sonstige menschliche Behausungen. Das war ihm gerade recht, denn er wollte allein sein. Bosgard setzte sich auf einen Felsen und blickte auf die rauhe See, die sogar an einem milden und beinahe windstillen Tag wie heute unablässig gegen die Klippen brandete. Schreiende Möwen kreisten über seinem Kopf, und in Bosgards Ohren klang es wie ein Klagelied. Während des Ritts hatte er seine Kopfwunde und die gebrochenen Rippen vergessen, doch jetzt spürte er die Schmerzen wieder deutlich. Sofort dachte Bosgard, dass Haylas zarte Hand mit den schlanken, langen Fingern ihn niemals wieder berühren und die Verbände wechseln würde, und ein Klumpen bildete sich in seinem Magen. Wie hatte sie ihn nur so hintergehen und belügen können? Bosgard war hin- und hergerissen, zu glauben, dass Hayla tatsächlich nicht gewusst hatte, wer ihr leiblicher Vater war. Aber sie hatte ihm verschwiegen, dass sie das Mündel von Harold gewesen war. Hatte sie so wenig Vertrauen zu ihm gehabt? Oder ihn, wie Mandric andeutete, in Wahrheit nicht geliebt, da er für sie nur ein Mittel zum Zweck gewesen war? Waren ihre zärtlichen Küsse und ihre Hingabe, wenn er sie in den Armen hielt, nur gespielt
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