Geliebter Normanne
Tieren, die sie jagen konnten. Bosgard musste hilflos mit ansehen, wie die Männer, Frauen und Kinder, denen er eine Heimat, Lohn und Brot gegeben hatte, nur mit dem Notwendigsten bepackt das Dorf verließen. Ein Mann, ein großer und kräftiger Schmied, hatte es gewagt, seinen Hammer gegen Yven de Mantes zu erheben, um gegen diese Behandlung zu protestieren, ohne de Mantes jedoch ernsthaft angreifen zu wollen. Der Schmied wurde überwältigt und noch am selben Tag gehängt. Ohnmächtig stand Bosgard auf dem Söller und ballte in grenzenloser Wut die Hände zu Fäusten.
»Lass mich gehen, bevor noch mehr Unschuldige sterben.«
Bosgard hatte Hayla nicht kommen hören. Er drehte sich zu ihr um, packte sie an den Schultern und schob sie sanft von der Brüstung fort.
»Sieh nicht hin, Hayla, und geh wieder nach unten. Es ist zu grausam. Der arme Mann hat niemandem etwas getan …«
So leicht ließ sich Hayla jedoch nicht fortschicken. Sie klammerte sich an Bosgards Wams und rief mit tränenerstickter Stimme: »Der König will
mich
, Bosgard! Verstehst du, niemand anderes hat mit der Sache zu tun. Weder Waline noch Eric und seine Schwester und auch nicht du. Wenn du mich gehen lässt, wird dir und allen in Penderroc kein Leid geschehen. De Mantes wird seine Truppe abziehen, und die Leute können ins Dorf zurückkehren.«
Wie aus Stein gemeißelt war Bosgards Gesicht, als er in die Ferne schaute und leise sagte: »Wir stehen es gemeinsam durch. Niemals werde ich dich diesen Aasgeiern da draußen zum Fraß vorwerfen.«
Hayla seufzte. Weitere Worte waren zwecklos. Zu oft schon hatte sie Bosgard in den letzten Tagen angefleht, sie an de Mantes auszuliefern, bevor noch mehr Unschuldige starben, aber er blieb unnachgiebig. In der Nacht verschloss er sogar ihre Kammertür und barg den Schlüssel in seinem Hosenbund, da er fürchtete, sie könnte heimlich die Burg verlassen und sich stellen. Deswegen schlief er kaum noch, und wenn er kurz einnickte, so wurde er durch das kleinste Geräusch geweckt.
»Wir werden verhungern, Bosgard.« Haylas Stimme war nicht mehr als ein Flüstern. »Wenn es nicht bald regnet, werden wir allerdings eher verdursten. Der Brunnen ist so gut wie trocken, und das bisschen Milch, das die beiden Ziegen geben, reicht nicht, den Durst aller zu stillen. Waline und ich müssen aufpassen, dass die Tiere nicht geschlachtet werden, weil die Leute Hunger haben, aber dann hätten wir keine Milch mehr. Auch die Hühner legen schlecht, da sie nicht genügend Futter und Wasser bekommen.« Flehend richtete sich ihr Blick auf sein regungsloses Gesicht, das er immer noch von ihr abgewandt hatte. »Bosgard de Briscaut, du hast eine Verantwortung für die Menschen in der Burg! Und auch für dich, denn du hast seit Tagen ebenfalls nichts gegessen, dabei bist du verletzt und brauchst Nahrung, um wieder gesund zu werden.«
»Mir geht es gut.« Blitzschnell drehte er sich zu Hayla um, schloss sie in seine Arme und vergrub sein Gesicht in ihrem Haar. »Wie kannst du von mir verlangen, dass ich dich opfere? In dir habe ich die Liebe meines Lebens gefunden, und beinahe wäre es Constance gelungen, diese zu zerstören. Jetzt bin ich nicht bereit, dich einfach wieder aufzugeben.«
Auch wenn es unser beider Tod bedeutet, dachte Hayla und erwiderte den Kuss seiner trockenen Lippen. Es rührte sie, wie standhaft Bosgard sich weigerte, sie auszuliefern, und sie hatte furchtbare Angst vor dem Kommenden. Tag und Nacht nagte das Schuldbewusstsein darüber, dass Dutzende von Männern, Frauen und Kindern wegen ihr leiden mussten, an Hayla, und ließ sie keinen Schlaf finden. Lediglich die Momente in Bosgards Armen halfen ihr, nicht zu verzweifeln, und lenkten sie von den Gedanken an die vielen Unschuldigen, die unter der Belagerung zu leiden hatten, ab.
Als Hayla später in die Halle ging und in die hungrigen Augen der Menschen sah, zog sich ihr Herz schmerzhaft zusammen. Den Jungen und Kräftigen wie sie selbst war der Nahrungs- und Wassermangel noch nicht anzusehen, aber die Älteren würden nicht mehr lange durchhalten. Als Waline plötzlich schwankte und Hayla sie gerade noch auffangen konnte, bevor sie zu Boden stürzte, schossen Hayla Tränen in die Augen. Sie brachte Waline in ihre Kammer, legte sie ins Bett und deckte die alte Frau sorgsam zu. Trotz der Hitze zitterte Waline am ganzen Körper und rang keuchend nach Atem.
»Du bist krank«, sagte Hayla. »Ich werde sehen, welche Kräuter wir noch haben, und dir einen
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