Geliebter Normanne
»Ihr legt sofort die Waffen weg und geht zurück in die Halle. Dieser Esel wird nicht angerührt, habt Ihr verstanden? Von Euch, Ritter Henri, bin ich enttäuscht. Bisher dachte ich, Ihr seid Sir Bosgard treu ergeben, und jetzt stellt Ihr Euch gegen seine Befehle.«
Die Männer tauschten einen verwunderten Blick, aber sie zögerten. Henri erhob die Stimme. »Noch seid Ihr nicht die Herrin der Burg, Lady Hayla, und wir nehmen keine Befehle von Euch entgegen. Wir stehen unserem Herrn ergeben zur Seite, aber wir haben Hunger, und dieser Esel nützt uns am Bratspieß mehr als im Stall. Zudem ist mir von Bosgard keine Anweisung bekannt, dass wir dieses Tier
nicht
schlachten dürfen.«
»Ihr dürft meinem Jesaja nichts tun!« Bruder Pierre war den Tränen nach. »Er ist wie ein Kind für mich … Ich habe ihn selbst aufgezogen …«
»Das wissen wir, Bruder, und wir versprechen Euch, dieses Mahl ganz besonders zu würdigen. Ihr bekommt auch ein besonders großes Stück ab.« Henri gab seinen Kumpanen einen Wink. »Na, los, worauf warten wir noch? Holen wir uns das Tier.«
Verflixt, wo bleibt Bosgard nur, dachte Hayla und sah sich suchend um. Gerade als die Ritter die beiden Männer von der Stalltür fortzogen, stapfte Bosgard mit großen Schritten über den Burghof.
»Sofort aufhören!«, rief er laut in strengem Befehlston. »Der Esel wird nicht angerührt, habt ihr verstanden? Jeder, der dem Tier auch nur ein Haar seiner borstigen Mähne krümmt, wird sich persönlich vor mir verantworten müssen.«
Bruder Pierre fiel vor Bosgard in den Staub. In seinen Augen standen Tränen. »Ich danke Euch, Herr, ich danke Euch so sehr.«
»Steht auf! Für einen Mann Eurer Stellung schickt es sich nicht, vor mir zu knien. Geht jetzt zu Eurem Esel. Am besten, Ihr lasst ihn von nun an nicht mehr aus den Augen.« Bosgard sah sich in der Runde um und fuhr ernst und bestimmt fort: »Der Vorfall zwingt mich, einen Entschluss zu fassen. Sagt allen Bescheid, dass sie sich in der Halle versammeln sollen, denn das, was ich zu sagen habe, geht jeden in Penderroc Castle etwas an.« Er trat vor Henri und streckte die Hand aus. »Euer Messer, Ritter. Ich bin sehr enttäuscht von Euch.«
Zögernd übergab Henri ihm die Waffe. Für einen Moment sah es aus, als wolle er Bosgard etwas sagen, dann jedoch drehte Henri sich um und ging auf den Wohnturm zu. Es dauerte nicht lange, bis sich alle in der Halle versammelt hatten. Lediglich Waline war zu schwach, ihre Kammer zu verlassen, und Bruder Pierre blieb im Stall bei seinem Esel. Bosgard trat auf das Podest vor dem Kamin an der Stirnseite. Er stemmte die Hände in die Hüften und ließ seinen Blick über die Menschen schweifen, die Hunger und Durst litten und von ihm erwarteten, dass er die Probleme löste. Das stand zwar nicht in seiner Macht, aber er hatte einen Entschluss gefasst, um die Leben der Menschen, die ihm untertan waren, zu retten.
»Männer und Frauen von Penderroc, bitte, hört mir gut zu.« Bosgard brauchte nicht laut zu sprechen, denn ein jeder lauschte erwartungsvoll seinen Worten. »Ich weiß, wie hungrig ihr seid, ich bin es nicht minder. Der heutige Vorfall hat mir gezeigt, wohin uns die Verzweiflung treiben kann. Zumindest einige von euch. Letzte Woche dachten wir, Yven de Mantes würde die Burg angreifen und wir könnten einen ehrenvollen Kampf führen, den ich nicht gescheut hätte, denn Penderroc ist gut befestigt, und unter euch sind hervorragende Kämpfer und Bogenschützen. Keinem Unbefugten wäre es gelungen, nur einen Fuß über die Mauern zu setzen. Nun jedoch muss ich erkennen, dass er eine andere Taktik verfolgt. Wir sollen ausgehungert werden, bis sich unsere Anzahl dezimiert hat und der Rest zu schwach ist, um zu kämpfen. Wie es scheint, wird de Mantes damit Erfolg haben. Darum habe ich mich entschlossen, mich zu stellen und euch gehen zu lassen.«
Ein erstauntes Gemurmel erhob sich unter den Leuten, und sie sahen sich verwundert an.
»Was meint Ihr damit, Sir?«, fragte einer der Männer.
Bosgard schluckte trocken, bevor er fortfuhr: »De Mantes will Lady Hayla haben. Dies werde ich niemals zulassen, aber ihr alle hier seid unschuldig an den Geschehnissen. Ich bin überzeugt, Yven de Mantes ist ein ehrenwerter Mann, der nur dem Befehl des Königs folgt, und auch er wird nicht daran interessiert sein, Dutzende von Menschen auf dem Gewissen zu haben. Er wird es sicher gestatten, dass ihr die Burg verlasst, wenn ich mich in seine Hände begebe. Durch
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