Geliebter Schuft
gesagt - noch untertrieben.«
»Vielleicht habe ich mehr bekommen, als ich wollte«, sagte Constance offen. »Und jetzt büße ich dafür mit Zweifeln.« Sie sah ihre Schwestern mit einem hilflosen Lächeln an. »Die Reue einer Liebenden.«
»Um deine Objektivität ist es also geschehen.« Prudence sah sie scharf an.
»So muss es wohl sein.« Constance zuckte mit den Schultern. »Aber jetzt meldet sie sich zurück. Ich muss die Situation wieder in den Griff bekommen. Und der einzige Weg dazu ist gedrosseltes Tempo.«
Ihre Schwestern nickten nur. Sie widersprachen ihr nicht, doch sie hatten mit Bangen beobachtet, wie Constance unter spektakulären Bedingungen ihre Fassung verlor, und zweifelten nun, ob sie diese so leicht wiedergewinnen würde, wie sie glaubte.
»Und wie wollen wir die Sache mit Henry Franklin angehen?«, fragte Prudence.
»Als Erstes müssen wir ihn finden. Und dann müssen wir mit ihm ein vertrauliches Gespräch führen«, sagte Constance, über den Themawechsel erleichtert. »Wir versuchen es zunächst in der Firma seines Vaters.«
»Werden wir ihn beschwatzen oder unter Druck setzen?«, fragte Chastity.
Constance überlegte. »Vielleicht beides«, sagte sie. »Es kommt vor allem darauf an, was für ein Typ er ist und ob er starken Widerstand leistet. Vielleicht solltest du als Sanfte auftreten und ich als Harte. Und wenn er dann nicht mehr aus noch ein weiß, soll Chas mit ein paar praktischen Vorschlägen einspringen.«
»Das könnte gehen«, sagte Prudence. »Wenn er aber ein Schwächling ist und von seinem Vater schon gehörig unter Druck gesetzt wird, müssen wir ihm Mut machen ... ihn aufbauen, anstatt ihn fertig zu machen.«
»Das entscheiden wir, wenn wir uns mit ihm treffen.«
Die Droschke hielt vor Waterloo Station an, und sie liefen eilig in die Bahnhofshalle. Der Zug nach Ashford stand bereits unter Dampf auf dem Bahnsteig. »Fahrkarten besorgen wir unterwegs«, sagte Constance. »Wir haben keine Zeit, uns am Schalter anzustellen.«
Nachdem sie sich in einem Abteil niedergelassen und ihre Fahrkarten von einem älteren, onkelhaften Schaffner bekommen hatten, schraubte Constance den Verschluss der Thermosflasche auf, die sie in einer geräumigen Strohtasche mit sich führte. Sie schenkte drei winzige Tassen voll und reichte diese weiter, als ein Pfiff ertönte und der Zug sich mit einem Ruck in Bewegung setzte.
»Hast du auch Sandwiches mitgebracht?« Chastity beugte sich vor und lugte in die Tasche.
»Käsekuchen und kalte Würstchen. Aber die sollten wir für später aufsparen. Ich habe keine Ahnung, ob es irgendwo Lunch geben wird.«
»Ach, da ist auch noch eine Bakewell-Torte«, rief Chastity freudig aus und nahm sich, den Vorschlag ihrer Schwester ignorierend, ein Stück des Kuchens mit Mandeln und Gelee. »Mrs. Hudsons Spezialität. Den können wir uns jetzt gleich genehmigen. Er passt gut zum Kaffee.«
Nach einer Fahrt von eineinhalb Stunden fuhr der Zug zu Mittag fauchend in Ashford ein. Die Schwestern stiegen aus und hielten nach einem Gefährt, und sei es ein Ponywagen, Ausschau, das sie in den Ort bringen konnte.
»Baufirma Franklin«, las Prudence von dem Zettel ab, den Amelia Westcott ihnen gegeben hatte. »West Street.«
»Fragen wir den Stationsvorsteher.«
Constance betrat das kleine Bahnhofsgebäude. Ein ergrauter Mann bedachte sie mit einem Nicken und eröffnete ihr, es gäbe keine Mietwagen, das Ortszentrum sei in einer Viertelstunde zu erreichen und die West Street zweige direkt vom Marktplatz ab. Die Firma Franklin befände sich auf halber Höhe in einem grauen Haus auf der linken Seite.
Constance bedankte sich und gesellte sich wieder zu ihren Schwestern. »Sieht aus, als müssten wir laufen.«
Prudence schaute zum bedeckten Himmel hinauf. »Hoffentlich fängt es nicht zu regnen an.«
Die Firma Franklin hatt£ ihren Sitz in einem stattlichen Gebäude, das den mittleren Block der West Street bildete. Constance blickte zu dem Schild über der Tür hinauf. »Wenn mein Eindruck nicht trügt, führt Franklin Senior hier ein blühendes Unternehmen.«
»Es reicht jedenfalls, um einen musikalisch talentierten Sohn zu unterstützen«, pflichtete Chastity ihr bei.
»Hm.« Prudence nickte nachdenklich. »Mal sehen, was wir herausfinden können.« Sie ging kühn an die Tür und drehte den Knauf. Eine Glocke bimmelte, als sie die Tür öffneten und ein ordentliches Büro mit drei Schreibtischen und einer Wand voller Aktenschränke betraten.
Ein Mann mit
Weitere Kostenlose Bücher