Geliebter Teufel
hoffte Carly das. Ihr Onkel war immerhin der einzige Verwandte, den sie noch hatte.
Doch wenn er sie nicht wieder bei sich haben wollte, würde sie schon Mittel und Wege finden, aus eigener Kraft zu überleben.
Auf der Fahrt in den Ort herrschte zwischen ihnen angespanntes Schweigen. Es war bereits spät am Nachmittag, und die Sonne hing tief über den mit roten Ziegeln gedeckten Dächern, als sie in San Juan Bautista, einem geschäftigen kleinen Ort am Fuß der Gabilan-Berge, eintrafen. Wie mit Gold überzogene Hügel, bewachsen von weitausladenden Eichen, umgaben die Stadt, die aus einer ehemaligen Missionsstation mit der Entdeckung des Goldes gewachsen war.
Der anfängliche Zuzug war vorbei, aber es gesellten sich beständig neue Siedler zu den Californio-Einwohnern. Trotzdem behielt die Stadt ihr spanisch geprägtes Aussehen mit den typischen Landhäusern. Manche von ihnen waren sehr alt, sie hatten immer noch mit Häuten bedeckte Fenster.
Die Straßen waren überfüllt: hier ein Lastkarren mit einer Erzladung aus einer vor kurzem entdeckten New-Idria-Silbermine, dort eine Wells, Fargo & Co.-Kutsche vor dem eleganten neuen Plaza Hotel und dazwischen eine wackelige carreta, die von zwei müden Ochsen gezogen wurde, während der dunkelhäutige Fahrer die Tiere mit spanischen Flüchen überhäufte.
Das Missionsgebäude stand auf einer von knorrigen Olivenbäumen und buntblühenden Blumen umgebenen Rasenfläche. Es bildete den Mittelpunkt der Stadt und war das Zentrum der meisten Aktivitäten. Die Kirche war 1797 erbaut worden, die größte der Californio-Missionsbauten, wie Carly von Padre Xavier auf einem Rundgang erfuhr. Das Haupthaus hatte zwei Etagen, und zu der einen Seite war ein langer, gebogener Flügel angebaut worden. Es war aus weißgekalkten Ziegeln gefertigt, das beeindruckende Innere mit Holzbänken und bogenförmigen Säulen versehen und durchweg in erstaunlich leuchtenden Farben gehalten: Blau, Rot, Violett, Gelb und Grün. Riesige, schmiedeeiserne Kerzenleuchter hingen von der Decke herab. Dutzende brennender Kerzen tauchten den Räum in ein warmes Licht.
Carly lächelte den untersetzten kleinen Pater an, der sie durch die Kirche führte. Er war bereits ein wenig kahlköpfig, aber seine schwieligen Hände wirkten so kräftig wie seine muskulösen Unterarme, und sein Bauch unter der dunkelbraunen Robe schien flach.
»Ramon erzählte mir, Sie seien Katholikin«, sagte der Priester. »Wie kommt es, daß wir Sie noch nicht in der Kirche hier gesehen haben?«
Nervös nagte Carly an ihrer Unterlippe. »Es tut mir leid, Pater, aber ich bin noch nicht so lange in Kalifornien und, wie Sie wissen, gehört mein Onkel nicht derselben Religion an.« Sie versuchte, dem Priester aufmerksam zuzuhören, aber unwillkürlich wanderte ihr Blick immer wieder zur Tür. Wo blieb Ramon? Die vereinbarte Uhrzeit war bereits verstrichen. Vielleicht würde er nicht kommen.
Carly zog sich der Magen zusammen. Sie wäre gedemütigt, ihr Onkel entsetzlich blamiert - nicht, daß er es nicht verdient hätte. Doch sie mußte fest daran glauben, daß Ramon kam, wenn auch nur aus dem Grund, daß sie ihn nicht verriet.
Wenn er jedoch nicht kam, konnte sie ihm das andererseits auch nicht verübeln. Trotzdem würde sie ihn nicht verraten, nur weil er ihr nicht beistand.
Die Zeit verrann. Der Priester scharrte ungeduldig mit den Füßen, und ihr Onkel räusperte sich überlaut. Die beiden Männer waren sichtlich beunruhigt.
Weitere zehn Minuten verstrichen. Ihr Hände wurden feucht, und ihr Herz begann heftiger zu klopfen. Er hatte erraten, daß ihre Drohung nicht echt war. Ramon würde nicht kommen.
Carly starrte zur Tür und verdrängte das Bedürfnis, in Tränen auszubrechen. Sie hätte erzürnt sein müssen, daß ihre Rechnung nicht aufgegangen war, aber was sie empfand, glich eher einer schweren Enttäuschung.
»Nun, Caralee, bist du jetzt zufrieden?« Durchdringend schaute ihr Onkel sie an. »Es ist wohl klar, daß de la Guerra nicht kommen wird. Du hast deinen Ruf ruiniert, deine Chancen bei Vincent verspielt, und jetzt wirst du zum Gespött der Umgebung.«
Carly schluckte schwer. Sie machte sich nicht die Mühe, ihn daran zu erinnern, daß er derjenige war, der ihren Ruf ruiniert hatte. Sie hatte nur versucht, sich dem Zwang zu entziehen, den er auf sie ausüben wollte - leider hatte sie dabei verloren. Dummerweise hatte sie angenommen, sie könnte ihren Ruf retten, ohne Vincent heiraten zu müssen. Aber das
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