Geliebter Tyrann
wünscht?«
»Ich denke, die Sache kann man von zwei Seiten betrachten. Wenn sie nicht diese Maleson-Lady ist, sondern die andere, dann verlangt Armstrong von uns, daß wir ihn mit einer Schlampe verehelichen, die eine Lügnerin ist und ihre beste Freundin verraten würde. Andererseits könnte diese hübsche, kleine dunkelhaarige Lady wirklich diese Bianca sein, und sie lügt uns nur an, damit sie Armstrong nicht heiraten muß. So oder so: Ich denke, morgen früh sollte eine Hochzeit stattfinden.«
»Und wie willst du dann mit Armstrong verfahren?« fragte der Maat. »Wenn er sich mit der falschen Frau verheiratet findet, möchte ich nicht in seiner Nähe sein.«
»Auch daran habe ich gedacht. Ich gedenke das Geld für diesen Handel zu kassieren, ehe er sie zu Gesicht bekommt. Dann werfe ich sofort wieder die Leinen los. Ich schätze, ich werde nicht einmal abwarten, bis er sich überzeugt hat, ob es die richtige Frau ist oder nicht.«
»Ich denke, ich würde das an deiner Stelle auch nicht tun. Wie sollen wir es aber nun anstellen, die kleine Lady zur Hochzeit zu überreden? Sie schien von der Idee einer Eheschließung nicht begeistert zu sein!«
Der Kapitän schob seinem Maat die Rumflasche zu. »Mir fallen mehrere Möglichkeiten ein, die diese kleine Puppe von der Notwendigkeit der Ehe überzeugen können.«
»Sie konnten also, wie ich höre, den Captain nicht dazu überreden, nach England zurückzukehren?« fragte Janie, als Nicole in ihre gemeinsame Kajüte zurückkam.
»Nein«, versicherte Nicole und setzte sich auf ihr Bett. »Tatsächlich schien er mir nicht glauben zu wollen, als ich ihm erzählte, wer ich wirklich bin. Aus irgendeinem Grund scheint er zu denken, ich belüge ihn.«
Janie schnaubte: »Ein Mann wie er hat vermutlich in seinem Leben noch nie die Wahrheit gesagt, und deshalb glaubt er, alle Welt bestünde nur aus Lügen. Oh, wenigstens können wir zusammen die Überfahrt genießen. Ich hoffe, die Geschichte regt Sie nicht zu sehr auf.«
Nicole suchte ihre wahren Gefühle zu verbergen und lächelte zu der großen Frau hinauf, ln Wirklichkeit war sie sehr enttäuscht, denn bis sie nach Amerika und wieder zurückgesegelt war, würde ihre Cousine eine andere Partnerin gefunden haben. Und zudem mußte sie an das Geld denken, das sie gespart und im Speicher von Biancas Haus versteckt hatte. Sie rieb ihre Fingerspitzen aneinander und spürte die vielen kleinen, blutigen Stellen, wo sie sich mit der Nadel in den Finger gestochen hatte, weil sie im Licht einer kleinen billigen Kerze hatte nähen müssen. Sie dachte daran, wie hart sie hatte arbeiten müssen für dieses Geld.
Doch sie würde Janie ihre Enttäuschung nicht merken lassen. »Ich habe mir schon immer gewünscht, Amerika zu sehen«, sagte sie. »Vielleicht kann ich ein paar Tage bleiben, ehe ich wieder nach England zurückkehre. Oh, du meine Güte!«
»Was ist denn?«
»Woher nehme ich jetzt das Geld für die Rückfahrt?« fragte sie mit geweiteten Augen, weil nun noch ein anderes Problem aufgetaucht war.
»Bezahlen!« explodierte Janie. »Clayton Armstrong wird Ihre Rückreise bezahlen, das kann ich Ihnen versichern! Ich hatte ihm immer wieder von diesem Plan abgeraten, doch es war, als redete ich gegen eine Ziegelmauer. Vielleicht wollen Sie gar nicht mehr nach England zurückkehren, wenn Sie Amerika gesehen haben. Wir haben dort viele Modeateliers, wissen Sie?«
Nicole erzählte ihr nun von dem Geld, das sie gespart und versteckt hatte.
Janie blieb eine Weile stumm. Nach Nicoles Version von der Entführung war Bianca eine unschuldige Person, die getan hatte, was getan werden mußte; doch Janie hörte mehr aus
Nicoles Bericht heraus und fragte sich im stillen, ob Nicoles Geld noch an seinem Platz sein würde, wenn sie nach England zurückkehrte.
»Sind Sie hungrig?« fragte Janie und öffnete einen Koffer ganz oben auf dem Stapel an der Wand.
»Warum? Ja, das bin ich. Sehr hungrig sogar«, gestand Nicole und ging zu Janie hinüber, um einen Blick in den Koffer zu werfen. ln jenen Tagen, ehe Schiffe für den Passagierdienst eingerichtet wurden, mußte jeder Reisende seine eigene Verpflegung mitbringen. Es hing einmal von dem Geschick des Navigators ab, dann von der Schnelligkeit des Schiffes, von den Winden, den Stürmen und den Piraten, ob die Überfahrt nur dreißig oder neunzig Tage dauerte, wenn das Schiff überhaupt am Ziel ankam.
Der Koffer enthielt getrocknete Erbsen und Bohnen, und als Janie noch eine Kiste
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