Geliebter Tyrann
Fenster; doch das Glas war so schmutzig, daß die Sonne dagegen kaum ankam. Ein schmutziges, ungemachtes Bett stand unter dem Fenster, und in der Mitte des Raumes sah sie einen großen, schweren, mit dem Fußboden verschraubten Tisch, der mit zusammengerollten und ausgebreiteten Seekarten und Meßblättern bedeckt war.
Als eine Ratte über den Boden trippelte, faßte sich Nicole erschrocken an den Hals. Ein rauhes Lachen folgte ihrem Blick in eine dunkle Ecke, in der ein Mann saß, dessen Gesicht von dunklen Bartstoppeln überdeckt war. Sein Anzug war zerknittert, und in einer Hand hielt er eine Flasche voll Rum.
»Wie man mir sagte, wären Sie eine gottverdammte Lady. Da sollten Sie sich aber rechtzeitig an die Ratten auf diesem Schiff gewöhnen, an die zweibeinigen wie an die vierbeinigen.«
»Sind Sie der Kapitän?« fragte sie und machte einen Schritt auf ihn zu.
»Der bin ich. Wenn Sie mein Paketboot ein Schiff nennen können, dann bin ich sein Kapitän.«
»Darf ich mich setzen? Ich würde gern mit Ihnen reden.«
Er deutete mit der Rumflasche auf einen Stuhl.
Nicole erzählte ihm in knappen, prägnanten Worten ihre Geschichte. Als sie geendet hatte, schwieg der Kapitän. »Wann, glauben Sie, könnten wir wieder in England sein?«
»Ich kehre nicht nach England zurück.«
»Aber wie komme ich dann wieder dorthin? Sie haben mich wohl nicht verstanden. Alles ist ein schreckliches Mißverständnis. Mr. Armstrong...«
Er schnitt ihr das Wort ab. »Alles, was ich weiß, Mädchen, ist, daß Clayton Armstrong mich dazu anheuerte, eine Lady zu entführen und sie zu ihm nach Amerika zu bringen.« Er betrachtete sie mit verkniffenen Augen. »Wenn ich Sie mir jetzt näher betrachte, haben Sie wirklich keine Ähnlichkeit mit der Dame, die er mir beschrieb.«
»Natürlich nicht. Ich bin ja auch nicht seine Verlobte.«
Er schob ihren Einwand mit einer Handbewegung zur Seite und nahm einen tiefen Schluck aus der Rumflasche. »Was kümmert es mich, wer Sie sind? Er sagte, Sie könnten mir, was die Heirat betrifft, einige Schwierigkeiten machen; doch ich sollte die Eheschließung trotzdem vollziehen.«
Nicole stand auf. »Eheschließung! Sie können doch nicht an so etwas denken!« begann sie, beruhigte sich jedoch gleich wieder. »Mr. Armstrong ist in Bianca Maleson verliebt und möchte sie heiraten. Ich bin Nicole Courtalain. Ich habe diesen Mr. Armstrong noch nie gesehen.«
»Das sagen Sie! Warum haben Sie denn meinen Männern nicht gleich gesagt, wer Sie sind? Wie kommt es, daß Sie so lange mit dieser Enthüllung gewartet haben?«
»Ich dachte, sie würden mich frei lassen, wenn sie entdeckten, wer ich wirklich bin; doch ich wollte auch weit genug von Bianca entfernt sein, damit ich wußte, sie würde vor Ihren Männern sicher sein.«
»Ist diese Bianca die fette Person, die meinen Männern sagte, wer Sie wären?«
»Bianca hat Ihre Männer tatsächlich auf mich verwiesen. Das stimmt. Doch sie wußte, mir würde nichts passieren.«
»So, wußte sie das? Erwarten Sie von mir, Ihnen zu glauben, daß Sie nur Ihren Mund hielten, um eine Schlampe zu schützen, die Sie nur zu gerne einer Bande von Kidnappern überließ? So etwas kann ich nicht glauben. Sie müssen mich für einen Dummkopf halten.«
Darauf wußte Nicole nichts zu erwidern.
»Gehen Sie, verschwinden Sie wieder in Ihre Kabine, während ich über diese Bescherung nachdenke. Und wenn Sie an dem Mann vorbeikommen, der Sie zu mir gebracht hat, sagen Sie ihm, ich möchte mit ihm sprechen.«
Als Nicole gegangen war und er mit dem Ersten Maat in seiner Kajüte zusammensaß, sagte der Kapitän: »Vermutlich weißt du schon Bescheid, da du ja die meiste Zeit damit verbringst, an fremden Türen zu lauschen.«
Grinsend setzte sich der Erste Maat auf einen Stuhl. Er und der Kapitän waren schon viele Jahre zusammen, und er wußte aus Erfahrung, wie nützlich es war, rechtzeitig Bescheid zu wissen, wenn der Alte etwas ausbrütete. »Was gedenkst du nun zu tun? Armstrong sagte, er würde dafür sorgen, daß wir hinter Schloß und Riegel kämen wegen jener Schiffsladung Tabak, die im vergangenen Jahr verschwand, falls wir ihm seine Frau nicht ins Haus lieferten.«
Der Kapitän nahm wieder einen Schluck aus der Rumflasche.
»Seine Frau. Das ist es, was dieser Mann verlangt, und das ist es, was er auch bekommen wird.«
Der Maat dachte über diese Bemerkung nach, »Und wenn sie uns nun die Wahrheit sagt und gar nicht diejenige ist, die er zu heiraten
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