Geliebter Tyrann
legte ihre Hand auf die seine. »Bitte, hör auf zu trinken. Du wirst morgen dein Tagespensum nicht bewältigen können, wenn du nicht aufhörst.«
»Arbeiten«, sagte er und lächelte. »Warum sollte ich arbeiten? Wofür? Für meine geliebte Frau? Für den Sohn, den sie gerade verloren hat?« Er trank noch einen Schluck Whisky und begann dann zu lachen. Es war ein häßliches Lachen.
Langsam zogen sich die Frauen aus der Bibliothek zurück.
Als die Sonne aufging, trank Clay immer noch, wartete immer noch auf das Vergessen, das ihm der Alkohol bringen sollte.
Auf den Feldern begannen die Männer und Frauen mit der Arbeit. Es war ungewöhnlich, daß Clay nicht da war und sie beobachtete. Gegen Nachmittag begannen sie langsamer zu arbeiten. Es war nett, wenn der Boß ihnen nicht dauernd über die Schulter blickte.
Als Clay am vierten Tag noch immer nicht auf die Felder kam, machten sich einige Männer gar nicht erst die Mühe, mit der Arbeit anzufangen.
19
Es war im August 1796- ein Jahr später.
Nicole stand auf der Kuppe des Hügels und sah auf ihren Besitz hinunter. Sie legte die Hände auf den Rücken und massierte ihre müden Muskeln. Es half, den Schmerz zu lindern, wenn sie sehen konnte, was ihn ausgelöst hatte. Die heiße Augustsonne brannte auf die hohen Tabakpflanzen nieder. Die Baumwolle würde bald ihre Samenkapseln sprengen. Der goldene Weizen wogte, fast reif, sacht in der Brise. Der Wind trieb ihr das Geräusch der Mühlsteine zu, die stetig und gleichmäßig das Korn zu Mehl zerrieben. Einer von den Zwillingen maulte, und Nicole lächelte, als Janie ihn scharf zurechtwies.
Es war nun schon über ein Jahr her, seit ihre Ehe annulliert worden war. Ihre Zeitrechnung, wurde ihr nun bewußt, begann mit jener Stunde im Büro des Richters. Seit jenem verhängnisvollen Tag hatte sie kaum etwas anderes gekannt als Arbeit. Jeden Morgen stand sie schon vor der Dämmerung auf, sah in der Mühle nach dem Rechten, kümmerte sich um Aussaat und Ernte. Als sie ihre Ernte zum erstenmal auf den Markt brachte, hatten die Männer gelacht, weil sie glaubten, sie könnten ihre Erzeugnisse für einen niedrigen Preis bekommen. Doch Nicole ließ sich nicht übers Ohr hauen; sie feilschte und handelte um jeden Cent. Als sie den Markt wieder verließ, trug sie ein Lächeln auf ihrem Gesicht, während die männlichen Käufer ihr kopfschüttelnd und stirnrunzelnd nachsahen. Wesley ging neben ihr und lachte.
In diesem Jahr hatte sie ihren Landbesitz erweitert. Sie hatte den ganzen Erlös der Ernte vom letzten Jahr dazu verwendet, noch mehr Land zu kaufen. Sie besaß nun einhundertfünfundzwanzig Morgen auf der Hügelseite des Flusses. Es war fruchtbarer Boden mit guter Dränage. Zwar hatte ihr der Regen hier und da anfangs den Humus abgetragen; doch sie hatte mit Isaac die Wintermonate benützt, um Steinterrassen anzulegen. Sie hatten auch noch Land gerodet. Das war eine schwere Zeit gewesen in der Kälte; doch sie hatten sie gemeistert. Dann, in den ersten Tagen dieses Frühjahrs, hatten sie die Tabakpflanzen gesetzt und die Saat auf den anderen Feldern ausgebracht. Sie hatte einen Gemüsegarten neben dem Haus, eine Milchkuh und auf der Rückseite einen Hühnerhof.
Das Haus selbst hatte sich nicht verändert; sie hatte ja jeden Cent in die Verbesserung des Bodens stecken müssen. Adele und Gerard wohnten auf der einen Seite der Dachstube, Janie und Nicole auf der anderen. Die Zwillinge schliefen im Erdgeschoß auf Strohsäcken. Ein beengtes Leben; doch sie hatten alle gelernt, damit zurechtzukommen. Janie und Gerard sprachen selten miteinander, taten jeder so, als existiere der andere gar nicht. Adele lebte immer noch in einer Traumwelt des vorrevolutionären Frankreich. Nicole hatte ihre Mutter in den Glauben versetzen können, die Zwillinge seien ihre Enkelkinder, und daher müsse Adele auch bei deren Erziehung mithelfen. Ein paar Tage lang war sie eine ausgezeichnete Lehrerin gewesen. Sie würzte den Unterricht mit faszinierenden Geschichten aus ihrem Leben bei Hofe. Sie erzählte den Zwillingen aus ihrer eigenen Kindheit, von den seltsamen Gewohnheiten des Königs und der Königin. Jedenfalls fanden die beiden Kinder sie seltsam. So erzählte ihnen Adele eines Tages die Geschichte, daß die Königin sich jeden Tag ihre Kleider in einem Weidenkorb bringen ließ, der mit grünem Taft ausgeschlagen war. Der Taft durfte nur einmal benützt werden und wurde anschließend der Dienerschaft überlassen. Die Zwillinge hatten
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