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Geliebter Tyrann

Titel: Geliebter Tyrann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jude Deveraux
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    Tag mit grünen Blättern kostümiert und so getan, als wären sie Adeles Diener. Sie war entzückt gewesen.
    Doch zuweilen brachten ein paar kleine Dinge Adele aus dem Gleichgewicht, so daß ihr zerbrechlicher Seelenfriede in Stücke ging. So wickelte sich Mandy eines Tages ein rotes Band um den Hals. Adele sah das Kind, wurde an die Hinrichtungen ihrer Freunde erinnert und schrie stundenlang. Die Zwillinge fürchteten sich nicht mehr vor Adeles Schreien. Sie zuckten nur mit den Schultern, ließen sie allein oder rannten zu Nicole, damit sie sich um ihre Mutter kümmerte. Nach ein paar Tagen, in denen Adele sich vor Angst krümmte und von Mord und Totschlag redete, kehrte sie dann wieder in ihre Phantasiewelt zurück. Nie wurde sie sich der Gegenwart bewußt: daß sie in Amerika lebte, daß Frankreich weit weg war. Sie erkannte nur Nicole und die Zwillinge, duldete Janie in ihrer Nähe und blickte Gerard an, als existiere er gar nicht. Sie durfte nie mit fremden Leuten Zusammenkommen, die ihr eine grauenhafte Angst einflößten.
    Gerard schien sich damit abzufinden, daß seine Frau keine Ahnung hatte, wer er war. Sobald Adele Nicole erblickte, schien sie die Monate, die sie im Gefängnis verbracht hatte, und die Zeit im Haus von Gerards Eltern zu vergessen. Zu Nicole sprach sie von ihrem Mann und ihrem Vater, als wären sie noch am Leben und müßten jeden Moment nach Hause kommen.
    Gerard hielt sich von den anderen Bewohnern in Nicoles Haus fern. Er machte sich zum Außenseiter. Seit dem Tag, an dem Nicole ihn geohrfeigt hatte, war er nicht mehr derselbe Mann. Er pflegte nun tagelang fortzugehen und mitten in der Nacht wiederzukommen, ohne zu erklären, wo er gewesen war. Wenn er im Haus blieb, saß er oft beim Feuer und beobachtete Nicole, schaute sie an, bis sie eine Masche fallen ließ oder sich mit der Nähnadel in den Finger stach. Er wiederholte sein Ansinnen nicht mehr, daß er sie heiraten wolle, doch manchmal wünschte sie sich, er hätte es getan. Denn wenn er sie so anstarrte und ihr dabei wieder einen Antrag machte, hätte das wenigstens zu einer Aussprache geführt. Doch vielleicht war es dumm von ihr, sich darüber Gedanken zu machen. Er kam ihr nie zu nahe, wenn er so da saß und sie beobachtete.
    Was man auch von Gerard halten mochte: für die Mühle war er von großem Wert. Seine handküssenden Manieren und sein starker französischer Akzent belebten das Geschäft mindestens ebenso wie Nicoles niedrige Preise. Eine ungewöhnliche Zahl junger Damen begleiteten ihre Väter, wenn diese ihr Getreide mahlen ließen. Gerard behandelte sie alle wie französische Aristokraten, die Jungen wie die Alten, die Dicken oder die  Dünnen, die Häßlichen wie die Hübschen. Die Frauen knicksten und kicherten, wenn er ihnen seinen Arm anbot und sie in die Mühle führte. Er entfernte sich nie so weit mit ihnen, daß ihre Väter sie aus den Augen verloren.
    Ein einziges Mal konnte Nicole einen Blick in Gerards Gedankenwelt tun. Eine besonders hausbackene junge Dame verdrehte entzückt die Augen, als Gerard ihr die Hand küßte und etwas Französisches dazu murmelte. In diesem Moment drehte sich der Wind, und Nicole wurde ungewollt Zeuge dessen, was er zu ihr sagte. Obwohl er charmant lächelte, beschimpfte er sie wüst auf Französisch und nannte sie eine dreckige Sau. Nicole erschauerte und ging rasch davon; so etwas wollte sie sich um | keinen Preis anhören.
    Sie machte den Rücken steif und blickte über den Fluß. Seit Clay ihr gestanden hatte, daß Bianca schwanger sei, hatte sie ihn nicht mehr gesehen. Eine Ewigkeit schien inzwischen vergangen zu sein, und doch war die Erinnerung daran so lebendig, als hätten sie sich erst vor wenigen Minuten getrennt. Es gab keine Nacht, in der sie nicht an ihn dachte und sich nach ihm sehnte. Ihr Körper verriet sie oft, und nur zu häufig war sie versucht, ihn zu bitten, daß er sie auf der Lichtung treffen solle. | Sie dachte nicht an ihren Stolz oder ihre höheren Ideale: sie | wollte nur ihn haben, stark und heiß an ihrer Haut.
    Sie schüttelte den Kopf, damit ihr Blick wieder klar wurde. Sie tat sich keinen Gefallen damit, wenn sie mit ihren Gedanken in der Vergangenheit weilte oder sich an das erinnerte, was nicht sein konnte. Sie hatte jetzt ein gutes Leben, war von Menschen umgeben, die sie liebten. Sie hatte kein Recht dazu, sich einsam zu fühlen oder mit ihrem Schicksal unzufrieden zu sein.
    Sie starrte hinüber auf die Armstrong-Plantage.

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