Geliebter Tyrann
Schreibtisch schob. Aus irgendeinem Grund zog Clay bei ihren Worten die Augenbrauen leicht in die Höhe. Im Licht der Abendsonne konnte sie ihn deutlicher sehen als nachts vor den Herdflammen. Er war ein ernster Mann, die Lippen etwas zu fest zusammengepreßt, so daß sie eine gerade Linie bildeten. Eine Furche zwischen den Brauen gab seinen dunkelbraunen Augen einen fast unglücklichen Ausdruck.
Clay goß sich ein Glas Sherry ein. »Sie sprechen ein fast akzentfreies Englisch.«
»Vielen Dank. Ich gebe zu, ich mußte hart daran arbeiten, bis mir das gelang. Zu oft denke ich noch in meiner Muttersprache und übersetze sie ins Englische.«
»ünd manchmal vergessen Sie das?«
Sie sah ihn betroffen an. »Ja, das ist richtig. Wenn ich sehr müde bin oder... wütend, falle ich in meine Muttersprache zurück.«
Er nahm hinter dem Schreibtisch Platz, öffnete eine Ledermappe und entnahm ihr ein paar Papiere. »Ich denke, wir sollten zunächst ein paar geschäftliche Dinge klären. Sobald Janie die wahren Umstände erzählt hatte, wie Sie auf das Schiff gekommen sind, schickte ich einen Boten zu einem Familienfreund- einem Richter- und informierte ihn über diese ungewöhnliche Geschichte. Zugleich erbat ich als Rechtsbeistand seinen Rat.«
Nicole nickte. Er hatte nicht einmal so lange gewartet, bis er wieder zu Hause war, um den Prozeß der Annullierung einzuleiten.
»Heute erreichte mich schon die Antwort des Richters. Ehe ich Sie über deren Inhalt informiere, würde ich Ihnen gern ein paar Fragen stellen. Wie viele Leute waren bei der Trauung anwesend?«
»Der Kapitän, der die Trauung vollzog, der Erste Maat, der Sie vertrat, und der Doktor, der als Trauzeuge fungierte. Drei.«
»Wie steht es mit dem zweiten Trauzeugen? Es stand noch eine Unterschrift neben jener des Arztes.«
»Es befanden sich nur vier Personen in dem Raum, wo die Trauung stattfand.«
Clay nickte. Zweifellos war dieser Name gefälscht oder später hinzugefügt worden. Das war nur eine von vielen Unregelmäßigkeiten, die bei dieser Eheschließung vorgefallen waren.
Er fuhr fort- »ünd dieser Mann, Frank, der Sie bedrohte? Hat er das in Anwesenheit des Doktors getan?«
Nicole fragte sich, woher er den Namen des Ersten Maates wußte und daß es dieser Mann gewesen war, der sie bedroht hatte. »Ja, das alles passierte im Verlauf weniger Minuten in der Kajüte des Kapitäns.«
Clay erhob sich, ging durch den Raum und setzte sich gegenüber in einen Sessel. Er trug noch seine Arbeitskleidung, eine schwere, dunkelfarbene Hose, hohe Stiefel, ein weißes Leinenhemd mit offenem Kragen. Als er seine langen Beine zu ihrem Sessel hin ausstreckte, sagte er: »Ich hatte so etwas befürchtet.« Er hielt das Glas Sherry gegen das Licht und drehte es zwischen den Fingerspitzen, dann suchte sein Blick wieder ihr Gesicht und zuckte kurz über den tiefen Ausschnitt hin, wo sich ihre festen Brüste aus der blauen Seide hoben.
Du bist kein Kind mehr, ermahnte sich Nicole, das mit der Hand eine bloße Stelle bedeckt.
»Der Richter schickte mir ein Buch über englische Ehegesetze, die, wie ich fürchte, auch in Amerika gelten. Es gibt mehrere Gründe für eine Annullierung, zum Beispiel Wahnsinn oder das Unvermögen, Kinder zur Welt zu bringen. Ich nehme an, Sie sind geistig wie körperlich gesund?« Wieder zuckten seine Augen über ihren Ausschnitt hin.
Nicole lächelte leicht. »Ich glaube, ja.«
»Bliebe nur noch der Grund, daß Sie zu dieser Eheschließung gezwungen wurden.« Er wollte sich nicht von Nicole unterbrechen lassen. »Die Betonung liegt dabei auf dem Nachweis der Zwangslage. Wir müssen einen Zeugen der Trauung präsentieren, der an Eides Statt versichert, daß Sie gezwungen wurden.«
»Mein Wort genügt nicht? Oder Ihres? Die Tatsache, daß ich nicht Bianca Maleson bin, müßte doch ein gewichtiger Grund sein.«
»Wenn Sie Biancas Namen statt ihres eigenen benützt hätten, dann wäre es in der Tat ein ausreichender Grund. Aber ich habe den Trauschein gesehen, und er ist auf den Namen Nicole Courtalain ausgestellt. Ist das richtig?«
Sie dachte an den Moment, wo sie in der Kajüte des Kapitäns den Männern getrotzt hatte. »Was ist mit dem Doktor? Er war gut zu mir. Könnte er nicht ein Zeuge sein?«
»Ich hoffe, er kann es bezeugen. Ich weiß nur, daß er wieder auf einem Schiff nach England zurück unterwegs ist, auf der Fregatte, die gerade beladen wurde, als Ihr Paketboot hier anlangte. Ich habe ihm einen Mann nach England
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