Geliebter Tyrann
nachgeschickt; doch das kann Monate dauern, wenn nicht länger. Bis wir einen Zeugen haben, werden die Gerichte die Ehe nicht annullieren. Sie nennen es einen »vorläufigen Eheaufschub<.« Er trank den Rest seines Sherrys aus und stellte das Glas auf den Rand des Schreibtisches. Nachdem er ihr alles gesagt hatte, was er ihr sagen wollte, beobachtete er sie stumm.
Sie neigte den Kopf und studierte ihre Hände. »Also sind Sie vorläufig an diese Ehe gefesselt.«
»Wir sind daran gefesselt. Janie erzählte mir, daß Sie sich als Teilhaberin in einen Modeladen einkaufen wollten und nächtelang gearbeitet hätten, um das Geld dafür zusammenzusparen. Ich weiß, daß eine Entschuldigung nur eine geringe Entschädigung ist; kann Sie jedoch nur darum bitten, sie anzunehmen.«
Sie stand auf, die Hand auf die Rückenlehne des Sessels gelegt. »Natürlich nehme ich sie an. Aber ich würde Sie gern um etwas bitten.« Sie sah ihn an und merkte, daß seine Augen beschattet waren, als müsse er sich davor hüten, etwas preiszugeben.
»Wenn ich Ihnen einen Gefallen tun kann-nur zu.«
»Da ich mich also eine Weile lang in Amerika aufhalten werde, benötige ich eine Anstellung. Ich kenne niemanden hier. Könnten Sie mir helfen, eine Stellung zu finden? Ich bin gebildet, spreche vier Sprachen und glaube, daß ich eine akzeptable Gouvernante abgäbe.«
Clay stand plötzlich auf und ging ein paar Schritte von ihr weg. »Kommt nicht in Frage«, sagte er knapp. »Gleichgültig, unter welchen Umständen diese Ehe zustande kam, sind Sie dem Gesetz nach meine Ehefrau, und ich werde Ihnen nicht erlauben, sich wie eine fronpflichtige Dienerin anheuern zu lassen, um irgendwelchen Kindern die Nase zu wischen. Nein!
Sie werden hier bleiben, bis wir den Doktor aufgetrieben haben. Danach können wir weiter über Ihre Zukunft reden.«
Erstaunen spiegelte sich auf ihrem Gesicht und in ihrer Stimme wider. »Versuchen Sie, mein Leben für mich zu planen?«
Eine Spur von Belustigung zeigte sich in seinen Augen. »Ich nehme an, daß ich das tue, da Sie sich in meiner Obhut befinden.«
Sie reckte das Kinn hoch. »Ich bin nicht freiwillig in Ihrer Obhut. Ich würde es begrüßen, wenn Sie mir dabei helfen könnten, eine Beschäftigung zu finden. Ich muß eine Menge Rechnungen bezahlen.«
»Rechnungen? Was brauchen Sie, das Sie hier nicht bekämen? Ich kann aus Boston jede Importware kommen lassen.« Er beobachtete, wie sie mit den Fingern die Seide ihres Kleides befühlte, und nahm ein Stück Papier vom Schreibtisch. Es war der Brief, den sie ihm geschrieben hatte, ehe sie das Schiff verließ. »Vermutlich meinen Sie damit Ihre Kleider. Es tut mir leid, daß ich Sie des Diebstahls beschuldigt habe.« Wieder schien er über etwas amüsiert zu sein. »Die Kleider sind ein Geschenk von mir. Nehmen Sie sie bitte genauso entgegen wie meine Entschuldigungen.«
»Aber das kann ich nicht tun. Sie sind ein Vermögen wert«
»ünd ist die Zeit, die ich Ihnen stehle, und die damit verbundenen Ungelegentlichkeiten nicht auch etwas wert? Ich habe Sie Ihrem Heim entrissen, Sie in ein fremdes Land transportiert und mich abscheulich Ihnen gegenüber verhalten. Ich war sehr wütend in der Nacht, als wir uns zum erstenmal begegneten, und ich fürchte, mein Temperament war stärker als meine Vernunft. Ein paar Kleider sind nur eine kleine Entschädigung für den... Schimpf, den ich Ihnen zufügte. Außerdem, was sollte ich sonst mit ihnen anfangen? Sie sehen wirklich viel besser aus, wenn Sie sie tragen, als an einem Kleiderhaken im Schrank.«
Mit einem Funkeln in den Augen lächelte sie ihn an und deutete dann einen Knicks an. »Merci beaucoup, M'sieur.«
Er stand über ihr und betrachtete sie. Als sie aufstehen wollte, hielt er ihr seine Hand hin. Sie war warm und schwielig, als sie sich über Nicoles Rechte schloß. »Wie ich sehe, scheint die Wunde an Ihrem Bein wieder verheilt zu sein.«
Nicole sah ihn verwirrt an. Die Wunde saß hoch an ihrem Schenkel, und sie fragte sich, wieso er sie sehen konnte. »Habe ich gestern nacht etwas Ungewöhnliches gesagt oder getan? Ich glaube, ich muß sehr müde gewesen sein.«
»Sie können sich nicht mehr erinnern?«
»Nur, daß Sie die Hunde verscheuchten und mich dann auf Ihr Pferd setzten. Was von da an bis zu diesem Morgen geschah, weiß ich nicht mehr.«
Wieder musterte er sie schweigend, und seine Augen verharrten so lange auf ihrem Mund, daß Nicole spürte, wie sie rot wurde. »Sie waren bezaubernd«,
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