Geliebter Tyrann
Backes«, sagte sie und streckte ihre Hand aus. »Mein Mann Horace und ich wohnen mit unseren drei Söhnen gleich nebenan, ungefähr fünf Meilen weiter flußabwärts. Die Zwillinge waren ein paar Tage bei uns zu Besuch.«
»Ich bin Nicole Courtalain...« Sie zögerte und blickte über die Schulter auf Clay zurück.
»Armstrong«, setzte er rasch hinzu. »Nicole ist meine Frau.«
Ellen stand einen Augenblick still, Nicoles Hand festhaltend.
Dann ließ sie sie fallen und drückte Nicole mit einem kleinen Jubelschrei an die Brust. »Seine Frau! Ich bin so, so glücklich für euch! Sie hätten keinen besseren Mann finden können, außer Sie hätten meinen geheiratet.« Sie ließ Nicole los und umarmte Clay. »Warum hast du uns nichts davon erzählt? Die ganze Grafschaft hätte eine Hochzeit gut gebrauchen können. Und besonders dieses Haus. Hier hat es keine Gesellschaft mehr gegeben, seit James und Beth ums Leben kamen.«
Nicole war sehr empfindlich für Clays Reaktionen. Äußerlich war ihm nichts anzumerken; doch sie spürte, wie ein Strom durch seinen Körper ging.
ln der Entfernung hörte man ein tiefes Horn blasen.
»Das ist Horace«, sagte Ellen, die sich wieder Nicole zuwendete. »Wir müssen uns zusammensetzen. Ich habe Ihnen so viele Dinge zu erzählen. Clay hat eine lange Liste von schlechten Gewohnheiten, zu der auch sein ungefälliges Wesen gehört. Nun weiß ich, daß sich das alles ändern wird.« Sie sah sich in der großen Halle um. »Beth wäre so froh, wenn sie erlebte, daß dieses Haus wieder zum Leben erwacht. Nun kommt ihr Zwillinge auch zu mir und gebt mir einen Kuß.«
Während Ellen die Kinder umarmte, ließ sich das Horn abermals vernehmen, und Ellen rannte zur Tür hinaus, den Pfad hinunter zu der Schaluppe am Kai, wo ihr Mann auf sie wartete.
Als sie gegangen war, schien es plötzlich ganz still in der Halle zu sein. Nicole blickte die drei an, die zur offenen Tür hinsahen, wo ihre Freundin eben noch gestanden hatte, und sie brach in ein Lachen aus.
»Kommt«, lachte sie und streckte den Zwillingen ihre Hände hin. »Ich mag zwar keine Ellen sein; doch ich glaube, ich kann auch noch ein bißchen Sonnenschein in diesen Tag bringen. Weiß einer von euch beiden, was Eiscreme ist?«
Die Kinder nahmen scheu ihre Hände und folgten ihr hinüber ins Eßzimmer. Nicole eilte in das Eishaus und war in wenigen Minuten wieder zurück. Sie trug Tontöpfe, die so kalt waren, daß sie ihre Hände mit Topflappen schützen mußte. Als die Zwillinge den ersten Löffel Eiscreme auf ihrer Zunge zergehen ließen, sahen sie voller Bewunderung zu Nicole auf.
»Ich glaube, Sie haben ihr Herz erobert«, sagte Clay, als die Zwillinge die kalte Cremespeise in sich hineinlöffelten. Für sich und Clay garnierte sie die Eiscreme mit in Brandy eingelegten Früchten.
Stunden später, als die Zwillinge im Bett lagen, fiel es Nicole ein, daß sie und Clay kaum etwas zum Abendbrot gegessen hatten. Als sie die Treppe hinunterging, stand Clay in der Halle, ein Tablett in der Hand.
»Ich persönlich hätte gern etwas mehr zum Abendbrot gegessen. Wollen Sie ein frugales Mahl mit mir teilen?«
Sie gingen in die Bibliothek, und Nicole genoß die rasch zusammengestellte Mahlzeit, obwohl sie ein bißchen ausgefallen war. Clay hatte aus geräucherten Austern, scharfem Senf aus Dijon und Weißbrotscheiben Sandwiches zubereitet.
»Wer sind die beiden?« fragte Nicole zwischen zwei Bissen.
»Ich schätze, Sie meinen die Zwillinge.« Er saß in einem der roten Ledersessel, seine langen Beine auf den Rand seines Schreibtisches gestützt. »Es sind die Kinder meines Bruders.«
»Die Kinder von James und Beth, von denen Mrs. Backes erzählte?«
»Ja.« Seine Antwort war fast verletzend in ihrer Kürze.
»Würden Sie mir von ihnen erzählen?«
»Sie sind sieben Jahre alt. Ihre Namen kennen Sie schon, und...«
»Nein, ich meinte Ihren Bruder und Ihre Schwägerin. Ich erinnere mich, daß Bianca erwähnte, sie seien gestorben, als Sie sich in England aufhielten?«
Er trank einen ausgiebigen Schluck Bier, und Nicole hatte das Gefühl, daß er gegen etwas in sich ankämpfte. Als er sprach, schien seine Stimme weit weg zu sein. »Die Schaluppe meines Bruders kenterte. Sie sind beide ertrunken.«
Nicole konnte ihm nachfühlen, was es bedeutete, einen Teil seiner Familie zu verlieren. »Ich glaube, ich verstehe«, sagte sie leise.
Clay stand plötzlich auf und hätte um ein Haar den Lehnsessel umgestoßen. »Sie können es
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