Geliebter Tyrann
Anstalten, ihr auch dieses Haus zu zeigen; doch sie lächelte, als Nicole den Hals verrenkte, um in die Fenster sehen zu können. In der Nähe des Büros befanden sich noch mehr Gebäude unter Zederbäumen: Arbeiterunterkünfte, das Eishaus, der Vorratsschuppen, das Haus des Gärtners, das Haus des Grundstücksverwalters, Ställe und Remisen, eine Gerberei, eine Schreinerei und die Werkstätte des Küfers.
Endlich, als sie am Rande des Hügels standen, wo das Gelände zu den Feldern abfiel, hielt Nicole an, beide Hände gegen den Kopf gepreßt. »Es ist ein richtiges Dorf«, sagte sie, noch ganz verwirrt von den vielen Auskünften, die Janie ihr gegeben hatte.
Janie lächelte selbstzufrieden. »Das muß es sein. Der wichtigste Verkehrsweg ist für uns das Wasser.« Sie deutete über die Felder hinweg auf eine Mole am Fluß. »Clay hat sich zu diesem Zweck eine zwanzig Fuß große Schaluppe angeschafft. Im
Norden haben wir hier Städte wie in England; doch an der Küste ist jeder Pflanzer fast autark. Du hast noch lange nicht alles gesehen. Dort drüben sind die Molkerei und der Taubenstall. Ein Stück dahinter befindet sich das Geflügelhaus, und auch von den hier Beschäftigten kennst du nicht einmal die Hälfte. Die anderen sind dort unten.«
Nicole konnte ungefähr fünfzig Männer auf den Feldern erkennen, wozu auch ein paar Reiter gehörten.
»Da ist Clay!« Janie deutete auf einen Mann mit großem Strohhut, der auf einem schwarzen Pferd saß. »Er war heute morgen schon vor Sonnenaufgang unterwegs.« Sie warf Nicole einen Seitenblick zu, offensichtlich eine stumme Aufforderung, daß Nicole ihr etwas ausführlicher über die Vorgänge der vergangenen Nacht berichten sollte.
Doch Nicole vermochte ihr diesen Wunsch nicht zu erfüllen, da ihr kaum etwas davon erinnerlich war. »Was für einen Job hast du auf der Plantage?«
»Ich kümmere mich vor allem um die Weberei. Maggie ist Aufseherin der Küchengebäude, und ich bin für die Färberei, für die Weber und die Spinnerinnen verantwortlich. So ein Anwesen braucht eine Menge Tuch. Wir müssen Satteldecken fabrizieren, Tücher zum Einschlagen der Käse, Zeltplanen und Kleider und Decken für die Arbeiter.«
Nicole drehte sich um und sah zum Wohnhaus zurück. Die Schönheit dieses Gebäudes lag in seiner Schlichtheit und seinen klassischen Proportionen. Es war nicht groß, nur ungefähr zwanzig Meter lang; doch die Ziegel und die Giebelfelder über den Fenstern und Türen gaben dem Haus eine elegante Note. Es bestand aus zwei Stockwerken mit einem Satteldach und mehreren Mansardenfenstern. Die Schlichtheit der Anlage wurde nur durch eine gemütliche kleine, achteckige Veranda durchbrochen.
»Möchtest du noch mehr sehen?« fragte Janie.
»Ja, das Haus. Ich habe im Grunde heute morgen nur ein Zimmer gesehen. Sind die anderen Räume auch so herrlich wie das Schlafzimmer, in dem ich untergebracht war?«
»Clays Mutter hat alle Möbel extra für das Haus anfertigen lassen. Das war natürlich noch vor dem Krieg.« Janie bog zwischen den hohen Hecken in einen Gartenweg ein. »Aber ich sollte dich lieber warnen: Clay hat das Haus im letzten Jahr ein wenig verwahrlosen lassen. Außen hält er es in bestem Zustand; doch er sagt, er kann niemanden entbehren, der sich auch um die Sachen im Haus kümmert. Er ist ein Mann, dem es egal ist, was er ißt oder wo er schläft. Die Hälfte der Zeit verbringt er die Nächte lieber auf dem Feld unter einem Baum, statt zum Haus zurückzureiten.«
Als sie wieder ins Haus kamen, entschuldigte sich Janie mit der Bemerkung, daß sie sich nun wieder um die Webstühle kümmern müsse, da sie mit der Arbeit im Rückstand seien.
Nicole war froh, daß sie sich nun in aller Ruhe im Haus umsehen konnte. Das Erdgeschoß bestand aus vier großen Räumen und zwei Hallen. Die zentrale Halle enthielt das breite, mit Teppichen belegte Treppenhaus und diente als Empfangsbereich. Ein schmaler Flur verband das Eßzimmer mit dem Frühstückszimmer, und über einen kurzen Flur erreichte man den Weg, der zur separaten Küche führte.
Ein Wohnzimmer und ein Morgenraum lagen an der Gartenfront. Die Bibliothek und das Eßzimmer waren mit der Fensterfront dem Fluß zugekehrt.
Während Nicole alle Räume flüchtig musterte, bekam sie großen Respekt vor der Person, die sie eingerichtet hatte. Es waren schlichte, harmonische Zimmer, und jedes Möbelstück darin ein Meisterstück der Kunsttischlerei. Die Bibliothek war offensichtlich ein Männerraum
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