Geliebter Tyrann
Nicole um und bot ihr seinen Arm.
Nicole hatte ihn bisher nur in Arbeitskleidern gesehen. Nun hatte sich der Mann, der Tabak schnitt, in einen Gentleman verwandelt, der selbst in Versailles Furore gemacht hätte.
Er schien ihr Zögern zu verstehen und grinste breit. »Ich wollte doch nicht in einem Aufzug erscheinen, daß ich mich neben der schönsten Frau der Welt schämen müßte!«
Nicole lächelte zu ihm hinauf, froh, daß sie sich so viel Mühe mit ihrem Kleid gegeben hatte. Es bestand aus weißer Wäscheseide, sehr fein und wunderbar anzufühlen. Es war in England mit winzigen Jonquilles bestickt worden. Das Leibchen war aus Samt, der die gleiche tiefgoldene Farbe hatte wie die gestickten Blumen. Der Kragen und die Manschetten waren mit weißen Kordeln besetzt. Bänder aus Gold und weißer Seide waren zwischen ihre schwarzen Locken geflochten.
Als Roger die Schaluppe an der Mole am Ende von Backes'
Plantage festband, sagte Clay: »Himmel, fast hätte ich es vergessen! Ich habe etwas für dich mitgebracht.« Er griff in seine Tasche und holte das goldene Medaillon hervor, das sie vor langer Zeit auf dem Schiff zurückgelassen hatte.
Nicole nahm es fest in ihre Hände und lächelte dann zu ihm auf. »Vielen Dank!«
»Du kannst dich später angemessen bedanken«, sagte er und küßte sie auf die Stirn. Dann drehte er sich um und warf die Körbe zu Roger hinauf, der am Rand der Mole stand. Er hielt sie einen Moment fest an seine Brust gedrückt, ehe er sie hinaufhob auf den Steg.
»Da sind sie ja!« rief jemand, als sie auf das Haus zugingen.
»Clay! Wir dachten, sie hätte einen Klumpfuß, weil du sie so lange versteckt gehalten hast.«
»Ich habe sie genauso versteckt gehalten wie meinen Brandy. Und aus dem gleichen Grund: Wenn man Brandy oder Frauen zu oft herumzeigt, bekommt das einem nicht«, rief Clay zurück.
Nicole sah auf ihre Hände hinunter. Sie war verwirrt von diesem neuen Clay; von dieser öffentlichen Verkündigung, daß sie seine Frau sei. Es gab ihr fast das Gefühl, als ob sie für immer seine Frau wäre.
»Hallo«, sagte Ellen Backes. »Clay, überlaß sie mir eine Weile. Du hattest sie ja monatelang für dich allein.«
Nur widerwillig gab Clay ihre Hand frei. »Du wirst mich doch nicht vergessen, oder?« sagte er, während er ihr zublinzelte. Dann folgte er ein paar Männern, die ihn zur Rennbahn schleppen wollten. Sie sah ihn einen kräftigen Schluck aus einem Tonkrug nehmen.
»Du hast wirklich ein Wunder an ihm vollbracht«, sagte Ellen. »Ich habe Clay nicht mehr so glücklich gesehen, seit James und Beth starben. Es ist fast so, als wäre er lange Zeit fortgewesen und nun wieder nach Hause gekommen.«
Nicole konnte darauf nichts erwidern. Der lachende, sie neckende Clay war für sie auch ein Fremder. Ellen ließ Nicole gar nicht zu Wort kommen, ehe sie sie nicht allen Leuten vorgestellt hatte. Nicole wurde mit Fragen überschüttet: Wo sie ihr Kleid herhabe? Wo ihre Familie lebe? Wie sie Clay kennengelernt habe? Wo sie geheiratet hätten? Ihre Antworten waren keine ausgesprochenen Lügen, aber die reine Wahrheit waren sie auch nicht. Sie erwähnte mit keinem Wort, daß sie entführt und zur Ehe gezwungen worden war.
Die Fassade von Ellens riesigem Haus war dem Fluß zugekehrt. Nicole hatte bisher nur wenige amerikanische Häuser kennengelernt, doch dieses Gebäude brachte sie wahrhaftig zum Staunen. Während Clays Wohnhaus ganz im Stil Georgs des Fünften gebaut war, war das Gebäude, das Ellen und Horace bewohnten, eine Mischung aus allen nur erdenklichen architektonischen Spielarten. Es sah aus, als habe jede Generation das Haus in dem Stil erweitern lassen, der ihr am meisten zusagte. Das Haus dehnte sich in mehreren Richtungen aus mit langen Flügeln, kurzen Flügeln und überdachten Gängen, die zu den vom Haupthaus getrennten Gebäuden führten.
Ellen bemerkte, wie Nicole das Haus anstarrte. »Bemerkenswert, nicht wahr? ich glaube, ich habe schon ein Jahr darin gewohnt, ehe ich mich darin zurechtzufinden begann. Innen ist es viel schlimmer als außen. Es hat einen Flur, der im Nichts endet, und Türen, die einem die Schlafzimmer anderer Leute öffnen. Es ist wirklich zum Fürchten.«
»ünd jetzt hast du es offenbar in dein Herz geschlossen«, sagte Nicole lächelnd.
»Ich würde nicht einen Ziegelstein verändern lassen; obwohl ich daran denke, noch einen Flügel dranzuhängen.«
Nicole blickte sie verwundert an und lachte dann. »Vielleicht auch noch ein Stockwerk
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