Gelinkt
zu sagen: »Was versuchst du mir beizubringen, Liebes?«
»Wenn du dich regelmäßig mit mir triffst, ist deine Karriere ruiniert. Du wirst nicht nach London zurückkehren und dort so weiterleben können wie vorher.«
»Ist mir egal, wenn ich nur dich habe.«
»Harry. Du hast mich nicht.«
»Ich liebe dich … Ich mache alles, bin bereit, wo auch immer zu leben, eine Ewigkeit zu warten. Ich bin ein verzweifelter Mann.« Sie sah ihn an und lächelte, aber sie wußte, daß dieses Lächeln nicht überzeugend war. Sie spürte, wie ihre Kopfschmerzen zurückkehrten, und hätte am liebsten laut losgeschrien.
»Die Verantwortung dafür kann ich nicht übernehmen, Harry. Alles hat sich geändert, und ich habe mich auch geändert.«
»Du hast gesagt, du liebst mich«, sagte er in dem vorwurfsvollen Ton, den nur Liebende haben.
Wenn er nur ginge! »Vielleicht habe ich. Vielleicht tue ich’s immer noch. Ich weiß nicht.« Sie sprach langsam. »Alles, was ich mit Sicherheit weiß, ist, daß ich’s mir im Moment nicht leisten kann, mich auf die Komplikationen einer Beziehung einzulassen.«
»Dann versprich nichts. Ich fordere nichts. Ich werde warten. Aber verlange nicht, daß ich aufhöre, dir zu sagen, daß ich dich liebe. Das wäre eine unerträgliche Beschränkung.« Es klingelte zum nächsten Akt. Mit deutscher Diszipliniertheit kehrte das Publikum alsbald gleich danach auf seine Sitze zurück. »Ich kann mir die Aufführung nicht weiter anschauen«, sagte sie. »In meinem Kopf dreht sich alles. Ich muß nachdenken.«
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»Gehen wir also in den Palast und essen was.«
»Du wirst den Rest der Oper verpassen.«
»Ich war in neun Aufführungen«, sagte er grimmig. Sie lächelte und blickte auf ihre Uhr. »Kriegt man so spät überhaupt noch was zu essen?« sagte sie. »In diesem Teil der Stadt macht alles zeitig dicht.«
»Die immer praktische Fiona. Ja, wir bekommen zu dieser Zeit noch was zu essen. Ich bin vorgestern dort gewesen. Gib mir deine Karte, und ich hole dir deinen Mantel.« Von der Staatsoper geht man Unter den Linden nicht weit bis zum Palast-Hotel, und des in Berlin allgegenwärtigen Braunkohlegestanks ungeachtet tat der Spaziergang Fiona gut.
Als sie im Speisesaal des Hotels Platz nahmen, hatte sie ihre gewohnte Ruhe annähernd wiedergefunden. Es paßte nicht zu ihr, sich so aus der Fassung bringen zu lassen, selbst von Überraschungen nicht. Aber die Begegnung mit Harry in der Oper war nicht nur eine Überraschung gewesen; sie hatte ihr offenbart, wie dünn ihr Nervenkostüm war. Die Begegnung hatte ihr physisch zugesetzt. Noch immer schlug ihr Herz schnell. Sie betrachtete ihn, während er die Speisekarte studierte. War sie verliebt in ihn? War das die Erklärung für den Schock? Oder lag die Ursache noch tiefer, begann sie überhaupt den Boden unter den Füßen zu verlieren?
Was immer sie für Harry empfand, es kam jedenfalls nicht der soliden und dauerhaften Liebe gleich, die sie an ihr Heim, an die Kinder und an Bernard band. Harrys Verschwinden aus ihrem Leben hatte ihr nicht die herzzerreißenden Qualen verursacht, die sie wegen der Trennung von ihrer Familie litt, Qualen, denen sie nie entfliehen konnte. Jene alte Liebe zu Harry war etwas ganz anderes, davon Gesondertes, ein Gefühl, das mit der Liebe zu ihrer Familie nicht im Streit lag. Sie konnte nicht umhin, sich zu erinnern, daß die Liebe, die sie einst für Harry gefühlt hatte, elektrisierend gewesen war. Sie war unerlaubt gewesen und physischer als alles, was sie je mit
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Bernard erlebt hatte. Als sie nun Harry hier am Tisch gegenübersaß, war ihr sehr lebhaft erinnerlich, wie noch vor kurzer Zeit ein Blick von ihm genügte, sie zu erregen. »Ach, wie bitte?« sagte sie zerstreut, als sie merkte, daß er eine Antwort von ihr erwartete.
»Ich habe ihn neulich abend hier getrunken«, sagte er. »Er war recht gut.«
»Entschuldige bitte, ich habe geträumt.«
»Der Kabinett ist immer der trockenste, wenigstens habe ich das bei meinem letzten Besuch hier gelernt.«
»Wunderbar«, sagte sie unbestimmt und war erleichtert, als er den Kellner herbeiwinkte und eine Flasche eines Weins bestellte, den er bei seinem vorigen Besuch hier probiert und dann gern getrunken hatte. Sein Deutsch war passabel, sogar sein Akzent nicht übel.
Sie sah sich im Restaurant um, doch von den Gästen kam ihr hier keiner bekannt vor. Es waren alles Ausländer, die allein Zugang zu den harten Währungen hatten, in denen die Rechnungen
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