Gelinkt
Technik erzielten glänzenden Erfolge – und die Propagandamaschine, die sie geschickt ausschlachtete – bescherten dem Dritten Reich einen politischen Triumph. Auf der Olympiade des Jahres 1936 sah man die Nazi-Kriegsmaschine in Zivil – Vorschau auf das, was dann kam. Fiona stand im Foyer und betrachtete Fotos der 10.
Olympiade und einige der alten Trophäen, die in einer großen Glasvitrine ausgestellt waren, als Hubert Renn sie erblickte. Sie gratulierte ihm, und er verbeugte sich. »Interessieren Sie sich für Sport, Frau Direktor?«
»Während des Studiums gehörte ich zur Schwimmstaffel.
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Und Sie, Herr Renn?«
»Nein. Außer beim Hockey habe ich nie irgendwo geglänzt.
Ich war nicht groß genug.« Renn trug einen Anzug, den sie an ihm noch nicht gesehen hatte, mit roter Fliege und einem dazu passenden Kavalierstaschentuch. »Ich bin so froh, daß Sie es ermöglichen konnten, uns mit Ihrer Anwesenheit zu beehren, Frau Direktor. Es wird nur eine kleine Gesellschaft sein und nicht allzu spät werden. Wir sind einfache Leute.« Renn feierte natürlich nicht seinen Namenstag. Er war nicht mal protestantisch getauft worden. Renns Vater, ein überzeugter Atheist, hätte das nie geduldet. Doch Kerzen gab es gleichwohl in Hülle und Fülle, denn in Deutschland, wo das vorchristliche Erbe in jedem alten Fest und Brauch weiterlebt, gehörte Kerzenlicht zu jedem Fest.
Es war eine kleine Gesellschaft, die sich da im Gisela-Mauemayer-Saal versammelt hatte. Das Bildnis der Namenspatronin, die 1936 im Diskuswerfen die Goldmedaille für Deutschland gewann, war an die Wand gemalt. Es zeigte ein schönes Mädchen mit traurigen Augen, die das lange, blonde Haar zu einem Knoten aufgesteckt trug. Der Tisch war gedeckt, Wasser und Wein standen schon bereit. Am Kopf des Tisches, neben Huberts Teller, lagen verschiedene kleine Geschenke. Renns Frau Gretel trug ein wunderbares Kleid. Als Fiona es bewunderte, räumte sie ein, daß es ihrer Großmutter gehört und sie selbst nun schon seit über acht Jahren keine Gelegenheit mehr gehabt hatte, das gute Stück zu tragen.
Gretel war eine schüchterne, schlanke Frau um die Fünfzig, mit ergrauendem Haar, das offensichtlich eigens für diesen Abend neu getönt und gewellt worden war. Das Essen war vorzüglich.
Irgendein Jäger unter Renns Freunden schenkte ihm immer einen Rehbraten zum Geburtstag. In Wein mit Kräutern und Gewürzen mariniert, war dieser Braten genau das richtige zu dieser Jahreszeit, da die Abende schon recht kühl wurden.
Es war eine seltsame Gesellschaft, und wenn Fiona den
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Eindruck einer gewissen Steifheit hatte, so jedenfalls nicht, weil sie etwa die Sprache nicht vollkommen verstanden hätte.
Die Geburtstagsrituale schienen einstudiert zu sein, und selbst nachdem schon einiges getrunken worden war, konnte Fiona nicht feststellen, daß sich die Stimmung unter den Gästen gelockert hätte. Es schien, als seien sie alle bemüht, einen möglichst guten Eindruck auf sie zu machen.
Zur Tafelrunde gehörte Renns Tochter Käthe, die sichtlich schwanger war, und ihr getreuer Gatte, der in einem der Kraftwerke arbeitete, die mit ihrem Braunkohlenbrand die Berliner Luft verpesten. Hubert Renns bärtiger Bruder Felix war ein pensionierter Flugkapitän, siebzig Jahre alt und Veteran des Spanischen Bürgerkriegs. Außerdem waren da ein Mann und eine Frau, die im gleichen Gebäude arbeiteten wie Fiona und Renn, und, an Fionas Seite, eine herzliche Engländerin namens Miranda. Sie war wie Fiona Mitte Dreißig und sprach mit dem flotten Akzent, den Londoner kultivieren und solche, die zu diesen gerechnet werden wollen.
»Einen ungewöhnlichen Namen haben Sie«, sagte Fiona,
»wenn Sie die banale Bemerkung gestatten.«
»Ich habe ihn mir selbst ausgesucht. Ich war vor meiner Ehe Schauspielerin. Es war mein Bühnenname. Ich entdeckte ihn, als wir auf der Schule Shakespeares Sturm spielten. Ich war ein schrecklicher kleiner Snob. Und der Name ist an mir hängengeblieben.«
»Ein hübscher Name.«
»Hier findet ihn natürlich niemand seltsam, und ich habe mich an ihn gewöhnt.«
»Waren Sie Schauspielerin in England?«
»Ja. Ich war recht gut. Ich hätte dabeibleiben sollen, aber ich war schon fast dreißig und hatte noch nicht eine anständige Rolle im West End gekriegt. Mein Agent trat in den Ruhestand.
Und ein Mann verliebte sich in mich, und ich habe ihn geheiratet. Sie wissen, wie es geht.«
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»Und er war Deutscher?«
»Sehr deutsch
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