Gelinkt
Harry als das
sehen, was sie war: ein wunderschöner Luxus, eine
Entspannung in einer Zeit höchster Anspannung, eine
Therapie. Sie sah auf die Uhr. Sie mußte noch baden und sich
umziehen. Gott sei Dank hatte sie ein paar wirklich schicke
Sachen eingepackt. Denn bei dem Treffen heute abend kam es
darauf an, nicht nur blendend auszusehen, sondern auch
geistvoll zu sein. Heute abend wollte sie den gordischen
Knoten der Angst mit dem Schwert der Entscheidung
durchhauen.
Fiona hatte sich bei Kesslers verabredet, einem
Familienrestaurant in der Gatower Straße in Spandau. Das
Restaurant nahm das ganze Haus ein, so daß es auf jeder Etage
Speisesäle gab. Im Erdgeschoß überwachte der alte Klaus Kessler die Kellner persönlich. Zwischen dunkelgrün gestrichenem Holz, rot-weiß gewürfelten Tischtüchern und auf kleine Schiefertafeln geschriebenen Speisekarten stand er da mit seiner langen Schürze. Kessler nannte sein Lokal ein »typisch französisches Bistro«, tatsächlich aber hatten sich die Einrichtung und auch die Küche kaum verändert seit den Tagen, da sein Großvater dort den Gästen seiner Berliner Weinstube gute Hausmannskost servierte. Eine enge, knarrende Treppe führte in einen zweiten Speisesaal hinauf, und in dem Geschoß über diesem gab es drei aufwendig eingerichtete Räume mit besserem Besteck und Gläsern, leinenen Tischtüchern und handgeschriebenen Speisekarten ohne Preise. Diese Räume waren für kleine und sehr diskrete Gesellschaften reserviert. Und an diesem Abend speisten in einem dieser
Räume Fiona und Bret Rensselaer.
»Haben Sie sich ohne Schwierigkeiten freimachen können?«
fragte Bret höflich. Sie bot ihm die Wange, und er küßte sie
flüchtig. In einem Eiskübel stand Champagner. Bret trank
bereits etwas davon.
Der Kellner nahm ihren Mantel, schenkte ihr Champagner
ein und reichte ihr die Speisekarte.
»Es war ganz leicht«, sagte Fiona. »Bernard ist mit seinem
Vater zu einer Abschiedsfeier gegangen.«
»Der Rehbraten soll gut sein«, sagte Bret beim Überfliegen
der Speisekarte.
»Ich mag keinen Rehbraten«, sagte Fiona nachdrücklicher
als beabsichtigt. Sie nippte an ihrem Glas. Ȇberhaupt bin ich
nicht besonders hungrig.«
»Kessler sagt, er macht uns ein Käsesoufflé.«
»Das klingt köstlich.«
»Und ein bißchen westfälischer Schinken als Vorspeise?«
Ihre Zustimmung voraussetzend, legte er die Speisekarte
beiseite und nahm eilig die modische Brille ab, die er zum
Lesen brauchte. Er war eitel genug, sie ungern zu tragen, aber
er vertrug keine Kontaktlinsen.
»Perfekt.« Keiner von beiden interessierte sich auch nur
hinreichend für das Essen, um die ganze Speisekarte
durchzulesen. Wie wohltuend, dachte Fiona. Bernard konnte
sich nie in ein Restaurant setzen, ohne den Kellner über alle
Einzelheiten der Zubereitung ins Kreuzverhör zu nehmen.
Noch schlimmer war, daß er Fiona immer wieder dazu
überreden wollte, Sachen wie geräucherten Aal oder Zunge zu
probieren oder – wie hieß doch gleich dieses andere
Leibgericht von ihm? – marinierten Hering. »Wie gefällt es
Ihnen in Berlin?« fragte Bret.
»Immerhin ist ja auch Bernard hier.«
»Ja, richtig. Seine Mutter ist nach England zurück, um die
Kinder zu hüten, nicht wahr?«
»Ja, das war sehr nett von ihr, aber die Kinder fehlen mir
schrecklich«, sagte sie.
Eine Schinkenplatte wurde gebracht, garniert mit Tomaten
und Gürkchen, und sehr umständlich offerierte ihnen der
Kellner ein Sortiment von Brötchen und drei verschiedenen
Sorten Senf. Als er gegangen war, sagte sie: »Im Grunde
meiner Seele bin ich eigentlich Hausfrau.« Sie schmierte Butter
auf ihr Schwarzbrot, beobachtete aber, wie Bret die Erklärung
aufnahm. Vor genau einer Woche war sie zu dem Entschluß
gekommen, daß sie dieses wahnwitzige Projekt, zum KGB
überzulaufen und da die Superspionin zu machen, nicht würde
durchstehen können. Fiona war ihr Leben zu kompliziert
geworden. Die geheimen Treffen mit Martin Euan PryceHughes waren nicht allzu anstrengend gewesen. Sie war in
Reserve, sie trafen sich selten. Der Einsatz verschaffte ihr die
Befriedigung, ihrem Land und dem Department zu dienen,
ohne daß viel von ihr gefordert wurde. Und dann kam Bret
Rensselaer mit der Bombe an, daß der Premierminister den
D.G. beauftragt hatte, langfristig zu planen, jemanden in die
höchsten Ränge des gegnerischen Nachrichtendienstes einzuschleusen … Natürlich hielt sie es nicht für ausgeschlossen, daß Bret bei seiner Darstellung des Vorgangs übertrieben
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