Gelinkt
Garderobentischchen, dann musterte sie sich im Spiegel, lange genug, sich davon zu überzeugen, daß ihr Make-up in Ordnung war. Sie war gealtert, und die Ringe unter den Augen und die Falten um den Mund verbarg selbst die Schminke nur unvollkommen. Sie fuhr sich mit den Fingern durchs Haar, das der engsitzende Hut ihr an den Schädel gedrückt hatte, dann holte sie tief Luft und setzte ein fröhliches Lächeln auf, ehe sie das Wohnzimmer ihrer Mietwohnung betrat. Bernard war schon daheim. Er hatte das Jackett ausgezogen und den Krawattenknoten gelöst. Mit roten Hosenträgern über dem zerknitterten Hemd saß er bequem auf dem Sofa, ein volles Glas in der Hand. »Wild siehst du aus, Liebling. Findest du nicht, daß es zum Saufen noch ein bißchen früh ist?« Sie sagte das laut und fröhlich, ehe sie bemerkte, daß Bernards Vater diesem gegenübersaß und ebenfalls trank.
Trotz ihres scherzenden Tons runzelte Mr. Brian Samson, der offiziell im Büro noch immer ihr Vorgesetzter war, die Brauen. Er stand auf und gab ihr einen Kuß auf die Wange. »Hallo, Fiona«, sagte er. »Ich habe Bernard gerade alles erzählt.« Wenn dieser Kuß irgendwas bewirkte, bekräftigte er die Gefühle ihres Schwiegervaters, was Gattinnen anging, die der Oberschicht entstammten, nach Hause kamen und ihre Männer schalten, weil diese es sich im eigenen Heim gemütlich gemacht hatten. »Alles worüber?« fragte sie und ging weiter zu einem der Regale über dem Fernsehgerät, wo in beiderseitigem Einvernehmen die eingehende Post hingelegt wurde, bis sie beide sie gelesen hatten. Dort lag nur eine Rechnung der Weinhandlung und eine in Stahlstich gedruckte Einladung zur Geburtstagsfeier ihrer Schwester. Beides hatte sie schon gesehen, sah sich nun aber Rechnung und Einladung noch einmal gründlich an, ehe sie sich lächelnd umdrehte. Da keiner der Männer sich erbot, ihr etwas zu trinken zu holen, sagte sie: »Ich glaube, ich werde mir mal einen Tee machen. Möchte sonst jemand welchen?« Sie entdeckte ein paar verschüttete Tropfen, nahm ein Papiertaschentuch und wischte sie auf und ordnete Flaschen und Gläser auf dem Tablett, ehe sie sagte: »Alles worüber, Brian?« Bernard antwortete ihr: »Die BaaderMeinhof-Panik, wie sie inzwischen dazu sagen.«
»Ach das. Wie langweilig. Sei froh, daß du das verpaßt hast,
Liebling.«
»Langweilig?« sagte ihr Schwiegervater mit leicht
erhobener Stimme.
»Viel Lärm um nichts«, sagte Fiona.
»Ich weiß nicht«, sagte ihr Schwiegervater. »Wenn die
Baader-Meinhof-Leute das Flugzeug gekapert und nach Prag
dirigiert hätten …« Drohend ließ er das Ende des Satzes
unausgesprochen.
»Aber das wäre doch unmöglich gewesen, Schwiegervater«,
sagte sie munter. »Bekanntlich hat doch Andreas Baader schon
vor einem Jahr in Stammheim Selbstmord begangen, und aus
Bonn ist uns offiziell mitgeteilt worden, daß die übrigen
Mitglieder der Bande sämtlich in Gefängnissen der
Bundesrepublik einsitzen.«
»Das weiß ich«, sagte der ältere Samson mit übertriebener
Deutlichkeit, »aber Terroristen gibt es in allen Größen, Farben
und Gestalten, und nicht alle sitzen hinter Gittern. Es war eine
echte Krise. Mein Gott, Fiona, bist du in letzter Zeit mal in
Bonn gewesen? Stacheldraht und bewaffnete Posten vor den
Regierungsgebäuden. Panzerwagen patrouillieren die Straßen.
Langweilig ist das nicht, Fiona, was immer es sonst sein mag.«
Fiona kam ihrem Schwiegervater nicht entgegen. »Du willst
also keinen Tee?« sagte sie.
»Die Welt ist verrückt«, sagte Samson senior. »Ein armer
Teufel wurde umgebracht, nachdem seine eigene Patentochter
mit einem Strauß roter Rosen dafür gesorgt hatte, daß den
Mördern die Tür geöffnet wurde. Jeder Politiker und
Industrielle im Land wird Tag und Nacht bewacht.«
»Und sie beschweren sich, daß sie ihre Geliebten nicht mehr
ungestört besuchen können, jedenfalls steht das in dem
vertraulichen Bericht«, sagte Fiona. »Hast du das gelesen?« »Was ich nicht verstehe«, sagte ihr Schwiegervater, ihre
Frage ignorierend und in einem Ton, als machte er Fiona
persönlich verantwortlich für die der jüngeren Generation
angelasteten Missetaten, »ist, daß es Leute gibt, die für die
Terroristen demonstrieren! Bomben in Vertretungen deutscher
Automobilhersteller in Turin, Livorno und Bologna,
Straßendemonstrationen in London, Wien und Athen zur
Unterstützung der Terroristen. Sind diese Leute wahnsinnig?«
Fiona zuckte die Achseln und nahm das Tablett. Bernard sah
zu, aber
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