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Gelobtes Land: Meine Jahre in Stalins Sowjetunion (German Edition)

Gelobtes Land: Meine Jahre in Stalins Sowjetunion (German Edition)

Titel: Gelobtes Land: Meine Jahre in Stalins Sowjetunion (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eugen Ruge , Wolfgang Ruge
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Trinkwasser aus einem sechs Kilometer entfernten Flüsschen herankarrt, ist einen ganzen Nachmittag nur für sie tätig. Die Kessel in der kipjatilka werden nur für sie geheizt. Da man jederzeit auf das Erscheinen der erlauchten Familie gefasst sein muss, wird den ganzen Vormittag über das Feuer im Kessel unterhalten. An dem Weg, der von Tarans Wohnhaus zum Lager führt, werden Melder aufgestellt. Tritt nun der Chef aus dem Hause, so hebt der dort postierte Melder den Arm und meldet damit den Beginn der großen Stunde an den nächsten Melder weiter. Dieser winkt dem dritten, der dritte tut ein Gleiches, bis schließlich auch ich, als letzter, mittels dieses optischen Telegraphen vom Herannahen der Herrschaften erfahre. Flugs ergreife ich, in Holzpantinen über den vereisten Boden schlitternd, zwei Eimer und renne zur kipjatilka , um heißes Wasser von dort in die Sauna zu schleppen … Da ist der Chef aber nur mal zum Schuppen gegangen, und der in seiner Nähe postierte Mann rudert, den Fehlalarm signalisierend, mit beiden Armen in der Luft herum. Dann muss ich das heiße Wasser wieder zurückschleppen. Das alles kann sich wiederholen, wenn Taran vielleicht in den Stall geht, um die Kuh zu füttern.
    Sobald die hohe Familie dann tatsächlich anrückt, begibt sich der Chef erst einmal zum Friseur, mit dem er leutselig plaudert, während er sich rasieren lässt. Seine Frau seift inzwischen die quietschenden Kinder ein. Dann werden die Sprösslinge nach Hause geschickt, und das Ehepaar überlässt sich den Saunafreuden. Zuerst geht es still zu, dann erkenne ich am Gekichere und Gestöhne, dass sich der Chef an seiner Gemahlin ergötzt. Ich könnte die beiden durch ein Loch in der Wand beobachten, doch mein Interesse für Derartiges ist vollkommen geschwunden.
    Dennoch hat meine Stellung Vorzüge. Beispielsweise bitten mich die Leute öfter, bei mir etwas kochen zu dürfen – in der Baracke, wo die Sachen zum Trocknen hängen, ist es schwer, einen Platz am Ofen zu ergattern. Manche geben mir von der auf meinem Ofen geköchelten Suppe etwas ab, andere verdrücken sich eiligst. Letztere ermuntere ich nicht zum Wiederkommen. Eine Ausnahme bildet ein Mann namens Kramer, der häufig mit seinem winzigen Töpfchen bei mir anklopft, aber kein einziges Mal das Gekochte mit mir teilt. Ihn dulde ich, weil man sich anregend mit ihm unterhalten kann. Er war Restaurantchef im Moskauer Hotel Metropol , kennt alle Interna des Hauses und hat allen möglichen Berühmtheiten, über die er kuriose Geschichten weiß, Mahlzeiten auf dem Zimmer serviert. Zu mir sagt er: «Wenn du nach dem Krieg nach Moskau kommst, geh ins Metropol und frag nach Kramer – dann bin ich dort wieder Gastronomieleiter.» Hier hat er von Anfang an mit großem Geschick Taubheit simuliert. Zunächst wurde er von einer Ärztekommission zur anderen geschleppt, doch keiner gelang es, ihn zu entlarven. Jetzt ist er invalidisiert, läuft mit verbundenen Ohren herum, spricht nur flüsternd und tauscht in aller Verschwiegenheit Brot gegen Wertsachen.
    Trotz der neuerdings mit Mehl verdickten Suppe und der paar Happen, die mir gelegentlich zufallen, kreist mein Denken weiterhin ums Essen, denn meine Brotration beträgt nur 500 Gramm, obwohl ich 14 bis 15 Stunden täglich arbeite. Auch Epp überlegt, wie man unseren Verpflegungssatz aufbessern könnte. Da kommt uns, als wir schon vertrauter miteinander sind, der Gedanke, die im verschlossenen Schrank des Auskleideraums aufbewahrte Schmierseife gegen Essbares zu tauschen. Seife ist sowohl hier als auch in der Siedlung jenseits des Zauns Mangelware. Verwaltet wird sie von Gleckler, der an jedem Saunaabend das große Vorhängeschloss an der Schranktür umständlich aufschließt und persönlich jedem Badbesucher einen winzigen Klecks der schwarzgrünen Pampe auf die Hand schmiert.
    Eines Nachts rücken Epp und ich den massiven Schrank im Auskleideraum ein Stück von der Wand ab, nehmen hinten ein Brett heraus und bemächtigen uns einer Handvoll des schmierigen Zeugs. Das Weiterverhökern ist unproblematisch. Der Kutscher, ein dunkler Wolgadeutscher namens Johannes, der mich mit Holz beliefert, hat Kontakt zu den Frauen im Dorf und übernimmt bereitwillig die Abwicklung des Geschäfts. Dass er sich dabei eine Provision einbehält, versteht sich von selbst. Auf diese Weise bekommen wir Kartoffeln, Rüben und manchmal sogar ein Stück Fleisch. Die Soldatenwitwen schlachten nämlich ab und zu mal ein Zicklein. Diese genügsamen

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