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Gelobtes Land: Meine Jahre in Stalins Sowjetunion (German Edition)

Gelobtes Land: Meine Jahre in Stalins Sowjetunion (German Edition)

Titel: Gelobtes Land: Meine Jahre in Stalins Sowjetunion (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eugen Ruge , Wolfgang Ruge
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uns niemand zu einem solchen Mord bereitfinden. Immerhin hat das Darlinger so verschreckt, dass er Taran flehentlich bittet, dem Neuen das Wirtschaftsressort im Krankenhaus anzuvertrauen.
    Nach einigen Tagen erscheint Breiting wieder bei mir und sagt: «Morgen wollen wir uns mal was Richtiges kochen. Worauf hast du denn Appetit?» Ich frage, ob er sich über mich lustig machen wolle – kochen könne man nur, was man auftreibe. «Also gut», erwidert er gut gelaunt, «dann werde ich Schweinebraten auftreiben.» Und tatsächlich bringt er am nächsten Tag ein respektables Stück Schweinebraten, Öl und Kartoffeln. Ich bin sprachlos, zumal ich weiß, dass auch die Kranken außerhalb der Zone nur selten ein winziges Stück Fleisch erhalten. «Du kannst doch», halte ich ihm vor, «die Kranken nicht so beklauen.» Auf mein Drängen erklärt er mir schließlich, woher er die Leckerbissen hat.
    Wie auf der Bolschaja Kossolmanka üblich, war Breiting auf einer nahen Steigung mit einer 20-Liter-Flasche auf einen Güterzug aufgesprungen, um in Werchoturje das seiner Station zustehende Petroleum im Depot abzuholen. Dann habe er den Markt aufgesucht und das Petroleum für 75 Rubel pro Liter verscherbelt. Für 300 oder 400 Rubel habe er Lebensmittel für uns gekauft und sei anschließend zum Bahnhofsvorsteher gegangen und für 600 Rubel eine schriftliche Bestätigung erkauft, dass die Flasche beim Rangieren zerbrochen sei. Obwohl mir bei dem Gedanken, dass die Krankenstation jetzt ein paar Tage ohne Beleuchtung auskommen muss, nicht wohl ist, schmeckt der Braten vortrefflich.
    Breiting ersinnt fortwährend neue Streiche und führt sie mit frappierender Dreistigkeit aus. Irgendwann treibt er es jedoch zu weit. Eines Tages beschafft er sich in Werchoturje eine Geige und fidelt dann, während die Leute essen, in der Kantine. Zum Gaudi der Leute improvisiert er dazu freche Texte. Wenn Taran in die Kantine kommt, singt er beispielsweise:
     
Wer kommt denn da zu uns herein
Dumm und verfressen müsst’ man sein
Und bräucht’ nicht in den Wald hinein
Trullala, Trullala …
     
    Taran, der kein Deutsch versteht, findet das großartig und sagt zu Breiting: «Gut machst du das. Kultura ! Kommt wenigstens Stimmung bei uns auf.» Doch Zuträger gibt es genug. Nach wenigen Abenden erfährt der Chef, worüber die Leute feixen, verdonnert Breiting zu fünf Tagen Karzer und enthebt ihn seines Postens auf der Krankenstation. Er wird als Holzfäller in den Wald geschickt, wo er eine klägliche Figur abgibt. Da er mehr redet als arbeitet und die Normerfüllung gefährdet, will niemand mit ihm zusammengespannt werden. Niedergeschmettert taucht er noch ein paarmal bei mir in der Sauna auf, aber auch ich kann ihm nicht helfen.

HEUMAHD
    Es wird wieder Frühling, dann Sommer, und ich arbeite noch immer in der Sauna. Seit meiner Ankunft im Sewurallag bin ich noch nie so lange an einem Arbeitsplatz gewesen. Doch auch meine Zeit hier läuft ab.
    Ende Juli lässt mich Taran ins Büro kommen und eröffnet mir, dass ich Brigadier bei der Heumahd werde. «Du bist doch», sagt er, gramotnyj (des Lesens und Schreibens kundig, gemeint ist hier aber: ausgebufft), kennst dich mit den Normen und dem ganzen Zeug aus und kannst dabei mal für mich einen Schober hinstellen, der nicht in den Berichten auftaucht. Muss ja meine Kuh auch im Winter füttern.»
    Obwohl ich mir keine Illusionen mache, dass er sich, falls ich mich erwischen ließe, dumm stellen würde, antworte ich: «Ja, verstehe. Geht in Ordnung.» Dann wird er, was gar nicht zu ihm passt, unsicher und räuspert sich. «Hm», sagt er, «da ist noch was. Der Telefonistin, Anna Arkadjewna, müsste man gelegentlich einen Schober …» Sieh mal einer an, denke ich, eine Geliebte hat er auch noch.
    In der Taiga gibt es keine größeren Wiesenflächen. Das Heu wird auf oft weit auseinanderliegenden Waldlichtungen gemäht. Der neue techruk weist mich zu Pferde in mein Revier ein, das zwölf oder 15 solcher Lichtungen umfasst. Während wir langsam durch die versumpfte Taiga zotteln, erläutert er mir die Qualitätsanforderungen, die Normen und Koeffizienten. Mähen gilt als schwere Arbeit, sodass den Leuten mit der Sense bei einer Normerfüllung von 120 Prozent 800 Gramm Brot und eine Pirogge als Prämienration ( prembljudo ) zustehen. Die, die das Heu zusammenharken, es wenden, den Schober errichten usw. (auch keine leichte Arbeit), bekommen nicht mehr als 600 Gramm und kein prembljudo .
    Auf einer

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