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Gelobtes Land: Meine Jahre in Stalins Sowjetunion (German Edition)

Gelobtes Land: Meine Jahre in Stalins Sowjetunion (German Edition)

Titel: Gelobtes Land: Meine Jahre in Stalins Sowjetunion (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eugen Ruge , Wolfgang Ruge
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wieder zu Kräften kommen, sehen in den Helfern vor allem Männer, die sie zu becircen versuchen. Damit haben sie allerdings, soweit ich sehe, keinen Erfolg. Die Libido bei den «Arbeitsarmisten» hat sich nach der Hungerzeit nicht wieder gemeldet. Trotzdem frisst das Herumschäkern kostbare Zeit, so muss ich die Männer wieder abziehen. Das hat allerdings den Effekt, dass die Frauen sich jetzt, sobald ich bei ihnen erscheine, auf mich stürzen. Gemeinsam versuchen sie sogar, mich etwas aufzupäppeln. Sie wissen ganz genau, dass ich ihnen mehr anschreibe, als sie verdient haben.
    Wenn ich bei den Frauen erscheine, schreit die auf dem angefangenen Schober Stehende: «Da kommt der Brigadier – Mittagspause!» Sie steckt ihre Heugabel ins Gras und jammert, wenn die Miete schon hoch genug ist, dass sie nicht hinabspringen könne und ich sie auffangen solle. Tue ich das, halte ich eine dürftig bekleidete und sich an mich drängende junge Frau im Arm. Aber das rührt mich nicht, mein Lustempfinden ist abgetötet. Viel mehr interessiert mich, was die Frauen aus den Tüchern, in denen sie ihren Mundvorrat mitbringen, auswickeln, und ich lasse mich zu einer oder zwei Kartoffeln, zu einem Schluck Ziegenmilch einladen, manchmal gibt es sogar ein gekochtes Ei.
    Drei oder vier Wochen geht das so. Ich sichere den Frauen ihre Brotkarten, füttere meine Leute bestens durch, zweige der Obrigkeit ihre Schober ab. Allmählich kehre ich zu einem menschenähnlichen Leben zurück. Zum ersten Mal bin ich etwas besser ernährt und schöpfe Hoffnung aus dem herannahenden Kriegsende. Schwer zu sagen, wie ich den schweren Schlag, der mich mitten in der Heuernte trifft, sonst verkraftet hätte.
    Dieser Schlag ist ein Brief Veronikas vom 8. August 1944, wenn ich nicht irre. Er lautet:
    «Mein Freund, ich liebe Dich und werde nie einen anderen lieben. Diese Worte sollen Dich trösten, auch wenn das nur ein schwacher Trost ist. Denn wir werden nie wieder zueinanderfinden. Ich bin, wie sich herausstellt, nicht aus dem Holz geschnitzt, aus dem Heldinnen gemacht werden. Hinter mir liegt eine schreckliche Zeit. Jetzt habe ich ein Kind, ein Töchterchen, ein Jahr alt … Ich werde schon ihretwegen versuchen zurechtzukommen und wünsche Dir im künftigen Leben viel Glück.»
    Ich lese den Brief unzählige Male und verstehe dennoch nichts. Was soll ich mit einer Liebeserklärung, die zugleich eine Abkehr von mir ist? Was ist mit ihr passiert? Und was soll das Gerede von einer Heldin? Ich brauche keine Heldin, bin selbst alles andere als ein Held. Ich brauche sie! Ein Kind – was macht das schon? Wir werden es zusammen großziehen, und es wird unser Kind sein …
    Nachdem ich diesen Brief erhalten habe, gehe ich zu Fedja Reppich und beschwöre ihn, mir alles zu sagen, was er von seiner Ex-Frau Kira über Veronika weiß. Das Schlimmste wüsste ich ohnehin schon. Viel weiß er nicht. Kira habe ihm nur von dem Kind geschrieben und ihn ermahnt, mir nichts davon zu erzählen.
    Am Tag hopple ich, mit meinen Abrechnungen beschäftigt, auf meinem Gaul durch die Landschaft. Abends, wenn ich todmüde auf die Pritsche sinke, führe ich Selbstgespräche. Nachts bedrängen mich grausige Träume. Schließlich schreibe ich Veronika einen beschwichtigenden, beruhigenden Brief – ohne eine Antwort zu erhalten.

EIN NEUER LAGPUNKT WIRD GEGRÜNDET
    Im September meldet die Flüsterpropaganda, dass tief in der Taiga ein neuer Lagpunkt entstehen soll. Die auf Inseln im Moor angesiedelten Birkenbestände seien einmalig, vorzüglich geeignet für die dringend benötigten Maschinenpistolen-Schäfte.
    Tatsächlich erscheint Götz, der zum Chef des entlegenen Punktes ernannt (oder abgeschoben) wird, einige Tage später auf der Bolschaja Kossolmanka und stellt Voraustrupps aus 20 Leuten zusammen. Zu meiner Freude wählt er auch mich aus. Nach meiner Zeit als Brigadier bei der Heuernte gebe ich keine so jämmerliche Figur mehr ab.
    Wir fahren mit der Bahn zur verfallenen Station Platina, wo einst – was ich allerdings bezweifle – die größte Platingrube des Landes gewesen sein soll. Von dort marschieren wir in die Taiga hinein. Ein uns begleitender Forstfachmann aus Soswa hat eine grobe Skizze und einen Kompass bei sich, danach orientieren wir uns. Der Weg führt über umgestürzte Baumstämme, aufragende Wurzeln, Büsche und Sümpfe. Letztere machen uns besonders zu schaffen. Oft werden Trupps ausgeschickt, die nach Möglichkeiten suchen, wie wir die Moore umgehen

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