Gelobtes Land: Meine Jahre in Stalins Sowjetunion (German Edition)
Trinken und Waschen und um die Ziegel für die Öfen zu brennen. So wird der neue Lagpunkt nach dem Bächlein benannt: Schaitanka, was auf Türkisch-Tatarisch so viel wie Teufelsbach bedeutet.
Auf dem Plateau wachsen Birken und Kiefern. Aus Letzteren sollen die Wände der Baracken gefertigt und die Bretter für die Pritschen gesägt werden. Da es hier keinen Strom gibt (und es auch keinen geben wird, denn der Lagpunkt soll nur für einen Winter bestehen), müssen die Bretter mit der Hand gesägt werden. Dazu werden die Stämme auf ein Gerüst gehievt und von zwei Männern, einer steht oben, einer unten, längs durchschnitten – eine schwierige Arbeit. Alle anderen Konstruktionen werden aus dünnstämmigen Kiefern gezimmert. Das Holz ist naturfeucht, was diese Elemente im Winter entweder vereisen oder, wenn viel geheizt wird, vor Nässe triefen lässt.
Die Leute arbeiten wie besessen. Sie wollen wenigstens eine Baracke vor Schneeeinbruch fertigstellen. Ihre Arbeitswut wird doppelt und dreifach beflügelt. Erstens bekommen sie bei Planerfüllung täglich 800 Gramm Brot. Zweitens wird bekanntgegeben, dass wir ab Oktober Löhne erhalten: Geld! Zwar weiß niemand, wie viel wir bekommen, und erst recht nicht, wie und wo wir es ausgeben könnten, aber dennoch deutet dies darauf hin, dass wir uns langsam wieder in gewöhnliche Sowjetbürger verwandeln. Und drittens ermutigt es die Leute, dass der Bau eines Zaunes oder einer Wache nicht einmal in Erwägung gezogen wird: Ein unbewachter Lagpunkt, so ist die allgemeine Meinung, sei ja kein richtiger Lagpunkt.
Die erste Baracke steht tatsächlich, ehe es Anfang Oktober zu schneien beginnt. In der Mitte erhebt sich ein Ofen, an dessen Seiten sich vier Blöcke mit je vier Pritschen befinden. In der Folgezeit werden noch eine Baracke und ein gleich großes Gebäude für Kantine und Küche errichtet. Drei kleinere Baracken beherbergen das Kontor (nebst Schlafstelle von Götz), die Sauna und die instrumentalka mit Sägen, Äxten usw.
Nachdem wir die neue Baracke bezogen haben, entledigen wir uns endlich der verschmutzten und durchnässten Klamotten. Zwei Tage später, als der Ofen zum ersten Mal geheizt wird, können wir uns waschen.
Mittlerweile sind von der Shdanka ein paar Pferde gebracht worden, und es wird ein behelfsmäßiger Pferdestall gebaut. Das Leben pegelt sich so langsam ein. Neue Leute tauchen auf, darunter Kramer, der ehemalige gastronomische Leiter des Metropol , und Breiting, den sie seit seinen Spottgesängen «Trullala» nennen. Warum Götz diese beiden geholt hat, ist mir anfangs ein Rätsel. Dann erzählt mir Kramer, dass Götz einen besonderen Auftrag für ihn habe. Er bekomme einen Pferdeschlitten und solle in den umliegenden Dörfern Lebensmittel einkaufen, um sie an uns (die wir nun bald bezahlt werden sollen) weiterzuverkaufen. Dass er dabei etwas in seine eigene Tasche wirtschaftet, wird von Götz toleriert.
Kramer bleibt bei seiner ersten Rundfahrt eine Woche weg und kommt mit zwei Schlitten voller Kartoffeln, Rüben, Möhren und sogar einem Sack Zwieback wieder. Da er eintrifft, bevor wir den versprochenen Lohn erhalten, schreibt er an, bekommt aber bald alles auf Heller und Pfennig zurück.
Wie dieser geborene Spekulant es vollbracht hat, aus den elenden Dörfern säckeweise Lebensmittel herauszuholen, weiß ich bis heute nicht. Er blüht bei dem neuen Job zusehends auf, und die Leute essen so viel wie seit Jahren nicht mehr. Auch ich gehe nach den Hungerjahren auf wie ein Pfannkuchen. Sogar ein Doppelkinn lege ich mir zu, sodass die Jungs mir den Spitznamen «Zwei Ruges» geben, den ich während meiner Zeit auf der Schaitanka nicht mehr loswerde.
Weniger Glück hat Götz mit Trullala-Breiting. Er hat ihn wohl vor allem hierhergeholt, um seine Leute bei Laune zu halten. Das geht nicht ganz auf. In den Verschnaufpausen beim Wegbau erheitert Trullala die Leute zwar mit langen Zitaten aus einem von ihm verfassten, angeblich aus 4000 Versen bestehenden Lager-Epos (welches er, da es ja kein Papier gibt, im Kopf zu haben behauptet). Aber in der Kantine gibt Trullala keine Gesänge zum Besten. Dafür lässt sich Götz, der ein guter Schachspieler ist, auf ein Turnier mit ihm ein. Sie vereinbaren, dass Trullala im Falle eines Sieges einen freien Tag bekommt. Trullala gewinnt fast alle Partien und darf eine Freundin besuchen, die er sich irgendwo angelacht hat. Er kommt jedoch mit Magenkrämpfen zurück. Offenbar hat er sich bei seiner Freundin, die
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