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Gelobtes Land: Meine Jahre in Stalins Sowjetunion (German Edition)

Gelobtes Land: Meine Jahre in Stalins Sowjetunion (German Edition)

Titel: Gelobtes Land: Meine Jahre in Stalins Sowjetunion (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eugen Ruge , Wolfgang Ruge
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auf einer Geflügelfarm arbeitet, mit Hühnerfutter vollgestopft. Seine Krankheit dauert drei Tage. Dann verschlingt er das gesamte Brot, das sich während seiner Krankheit angesammelt hat, wird wieder krank und beginnt erneut zu wimmern und zu kotzen. Daraufhin schickt Götz ihn nach Korelino zurück.
    Ab November muss die Schaitanka ihr Plansoll an Birken erfüllen. Da es sich fast ausschließlich um Rohlinge für Schäfte von Maschinenpistolen handelt, setzt Götz durch, dass es schon bei 100 Prozent Normerfüllung 800 Gramm Brot und bei 125 Prozent sogar ein Kilo gibt. Das ist umso spürbarer, als das Brot jetzt viel besser ist als vor einem halben Jahr: trockener, körniger. Erfüllt man die Norm zu 150 Prozent, gibt es obendrein eine Pirogge. Es liegt auf der Hand, dass ich mich angesichts dieser Neuerungen zu den Baumfällern melde.

UNFALL
    Der 8. Februar 1945 beginnt wie jeder andere Tag. Nur verflucht kalt ist es – ich schätze, an die 40 Grad minus. Dass Pietschmann auf dem Hinmarsch ein Unglück prophezeit, ist nicht außergewöhnlich. Doch heute sagt er, wir sollten am besten gar nichts tun (ein paar Festmeter Vorrat haben wir ja), weil er von nackten Mädchen geträumt habe. Schlimmeres gebe es nicht. Aha, denke ich belustigt, die bessere Verpflegung macht sich schon bemerkbar. Das sage ich allerdings nicht laut, ich lache nur. «Lach nur», sagt er verdrießlich und greift dann doch zur Säge.
    Bald werden wir warm, aber Glück haben wir nicht. Mehrmals dreht sich ein Baum weg und bleibt in einem nebenstehenden hängen. Nach den Vorschriften muss der Baum, an dem sich der Gefällte festgehakt hat, abgesägt werden. Das verstößt jedoch gegen unsere Holzfällerehre. Außerdem wird der «Bremsbaum», wenn es eine Tanne oder eine Kiefer ist, nicht auf die Norm angerechnet, und das Ästeabhacken macht einen Haufen Arbeit.
    Am praktischsten wäre natürlich, den hängenden Baum einfach hängen zu lassen, aber das bekäme der Abnehmer heraus. Also schmeißen wir in der Regel auf den hängenden Baum einen anderen. Durch den Aufprall kommt der Unglücksbaum fast immer zu Fall. Aber eben nur fast immer. Hier, auf der Schaitanka, haben wir schon einmal 14 Bäume aufeinandergeschmissen – ein gefährliches Labyrinth von ineinander verkeilten Stämmen und Ästen. Beim 14. Baum kam das Ganze mit fürchterlichem Getöse herunter.
    Auch heute haben wir Pech mit «hängenden» Bäumen. Als sei dies nicht genug, haben wir eine Birke gefällt, auf der hoch oben ein kleiner Pilz wächst. Unverzeihlich, dass wir dieses Zeichen schlechter Holzqualität übersehen haben!
    Pietschmann schlägt mehrmals vor, für heute Schluss zu machen, aber ich will mich nicht zum Sklaven seines blöden Aberglaubens machen, will ihm beweisen, dass kein Zusammenhang zwischen seinen nackten Schönen und dem wirklichen Leben besteht.
    Kurz vor Arbeitsschluss machen wir uns an einen schmächtigen Baum heran, haben aber wieder kein Glück – der dünne Stamm dreht sich und fällt in eine Tanne. Pietschmann fleht schon fast, unser Missgeschick erst morgen zu beheben, ich bestehe jedoch darauf, eine mächtige Birke, die wir uns eigentlich für den nächsten Tag aufheben wollten, auf den Unglücksbaum zu schmeißen. So treten wir, obwohl eigentlich schon Zeit fürs Feuermachen ist, den Schnee rund um die Birke fest und machen uns an die Arbeit.
    Dann passiert es. Der mächtige Baum neigt sich, legt sich schräg über den hängenden Baum, das dicke Stammende wird für Sekunden in die Luft geschleudert und rutscht dann schräg auf den darunterliegenden Stamm hinab – direkt auf mich zu. Wie die Schnittfläche des Birkenriesen mit seinem – wie ich noch registriere – winzigen Herzstück auf mich zurast, werde ich bis an mein Lebensende vor Augen haben. Hätte mich dieser Holzklotz am Kopf oder an der Brust erwischt, wäre von mir nicht viel übrig geblieben. Im letzten Moment werfe ich mich zur Seite, doch der Stamm landet auf meinem linken Fuß und hätte ihn, wenn der Schnee nicht so hoch gewesen wäre, wohl zerschmettert.
    Zuerst sehe ich Sterne, dann versuche ich, meinen Fuß zu bewegen. Mir entfährt ein Fluch, ich schreie den erschrockenen Pietschmann an: «Schaff mir den Stamm vom Fuß! Siehst du nicht, dass ich ihn nicht rausziehen kann!» Mein Partner ergreift sein Beil, rennt zu einer dünnen Tanne, hackt sie ab, um damit die Birke zu lüpfen. Mir kommt es so vor, als bewege er sich wie im Schlaf. Ich brülle ihn an:

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