Gelobtes Land: Meine Jahre in Stalins Sowjetunion (German Edition)
außergewöhnliches Ereignis beflügelt.
Schon im März 1947 habe ich einen Brief erhalten, auf dem ausländische Marken klebten. Er kommt, wie sich herausstellt, aus Berlin, und zwar von keinem Geringeren als dem SED-Politbüromitglied Paul Merker. Er teilt mir knapp mit, dass meine Mutter noch in Mexiko sei, sich jedoch anschicke, in die alte Heimat zurückzukehren. Meine Adresse, die dem Roten Kreuz bekannt sei, habe er ihr mitgeteilt.
Natürlich bin ich froh, dass meine Mutter den Krieg überlebt hat, zugleich sage ich mir: Wenn sich schon ein Politbüromitglied um mich kümmert, werde ich sicher bald aus dieser Einöde herauskommen! Um nicht untätig zu sein, wende ich mich nun auch selbst an verschiedene Institutionen (ZK der Partei, Ministerrat, Außenministerium) und beantrage, mich in die sowjetisch besetzte Zone nach Deutschland zu entsenden. Dabei vermeide ich, mich als deutschen Kommunisten darzustellen, sondern biete mich als Sowjetbürger an, der die sowjetischen Besatzungsorgane bei ihren schwierigen Aufgaben unterstützen könnte (perfekte deutsche Sprachkenntnisse usw.).
Die meisten meiner Anträge werden gar nicht, die anderen abschlägig beantwortet. Schließlich erkühne ich mich sogar, ein Gesuch an Stalin zu richten. Dass ich mich darin mit Huldigungen über die Weisheit des «Großen Führers» überschlage, versteht sich von selbst. Aber auch da erhalte ich nur eine von ZK-Sekretär Suslow unterzeichnete, dreizeilige Antwort, die mich davon in Kenntnis setzt, dass meine Ausreise aus der UdSSR «zurzeit nicht möglich» sei.
Mehr als ein halbes Jahr warte ich an den Posttagen auf den von Merker angekündigten Brief meiner Mutter. Als ich ihn endlich, im Dezember, erhalte, kann ich an den Poststempeln ablesen, dass er von Mexiko nach London einen Tag brauchte, von London nach Moskau vier oder fünf Tage, von Moskau nach Swerdlowsk drei Wochen und von Swerdlowsk nach Soswa drei Monate. Sehr zurückhaltend schreibt Mutter, dass sie mich bei guter Gesundheit hoffe und davon ausgehe, dass wir uns nach ihrer baldigen Rückkehr in die sowjetisch besetzte Zone Deutschlands wiedersehen werden. Ich schlage in meiner Antwort den gleichen Ton an: Mir gehe es «ausgezeichnet», ich hätte eine gut bezahlte Arbeit, schlösse demnächst mein Fernstudium ab und freute mich ebenfalls auf unsere Begegnung.
Im August 1948 erhalte ich überdies ein Paket aus Mexiko, mit Sachen, über die sich ein Bewohner Sibiriens nach westlicher Vorstellung freuen müsste, die für mich aber eher überflüssige Luxusgegenstände sind: Kakao, getrocknete Bananen und ähnliche Dinge. Nun bin ich, wie seinerzeit Chasanas, gezwungen, einen Teil des Paketinhalts weiterzuverkaufen, um die Zollgebühren aufzubringen, was mir ziemliche Laufereien beschert. Deshalb beeile ich mich, an Mutter zu schreiben, dass ich nichts benötige. Diese Nachricht erhält meine Mutter jedoch nicht, unsere Korrespondenz bricht Anfang 1949 ab. Der Grund dafür ist ebenso typisch wie lächerlich. Da ich ein bisschen «Reklame» für die ruhmreiche Sowjetunion machen möchte, stehe ich bei meinen Swerdlowsk-Aufenthalten auf der dortigen Hauptpost stundenlang an, um große und bunte Marken zu erstehen. Diese klebe ich auf meine Briefe, weiß aber nicht (das erfahre ich erst viel später), dass Auslandsbriefe mit mehr als zwei Marken laut einer Weisung des Postministers schnurstracks in den Reißwolf wandern. Als Mutter keine Briefe mehr von mir bekommt, hört auch sie auf, zu schreiben.
ALLE MAL HERHÖREN
Zum Jahresende 1948 brodelt wieder mal die Gerüchteküche. Am 10. Dezember werden alle «mobilisierten Deutschen» zu einer Versammlung in den Klub beordert. Ausdrücklich heißt es, dass Nichterscheinen mit 100 Rubel Strafe geahndet wird. So etwas hat es bisher noch nicht gegeben. Abgesehen davon ist die Drohung vollkommen überflüssig, da jeder brennend an Neuigkeiten interessiert ist.
So versammeln sich die Leute schon vor der festgesetzten Stunde. Im düsteren Klubraum ist es fast so still wie in einer Kirche – Hoffen und Bangen verdichten sich zu einem kaum hörbaren Gemurmel. Nach 15 Minuten erscheinen drei Figuren am Präsidiumstisch: der stellvertretende Lagerleiter, ein uns unbekannter Oberst und ein kleingewachsener, uns ebenfalls unbekannter Hauptmann. Die drei nehmen Platz, tuscheln miteinander, dann sagt Galusin knapp: «Oberst Sowieso von der Gebietsverwaltung des NKWD hat euch eine Mitteilung zu machen.»
Der Oberst erhebt
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