Gelyncht - Gus Dury ; 2
zu. »Ihr Freund oben meinte, Sie wären mir wahrscheinlich dankbar dafür.«
»O ja … und mein Freund, wer könnte das wohl sein?«
Ein Lachen; Schleim rasselte in seiner Brust. »Wände haben Ohren, mein Sohn.«
Es versetzte mir einen Stich, Sohn genannt zu werden. Es war sehr lange her, dass ich mich als Sohn von irgendwem gefühlt hatte. Ich sah zu, wie er das Tablett aufnahm, den Schlüssel im Schloss drehte und durch die Tür ging. Als er ging, rannte ich zur Klappe in der Tür, riss sie auf, fragte: »Dieser Freund – ich frag mich nur so, ist das wohl ein alter Freund oder ein neuer Freund?«
»Woher zum Teufel soll ich das wissen? … Ich bin nur der Bote.«
Ich ließ ihn den Flur hinunter zu seinem Schreibtisch schlurfen. Der Kerl schien ganz in Ordnung zu sein. Ein paar mehr von seiner Sorte hier wären nicht schlecht gewesen. Ich hatte eine ziemlich gute Vorstellung davon, wer mein Freund sein könnte. Ich hatte ohnehin schon beschlossen, ihm einen Besuch abzustatten, falls ich je wieder aus dem Loch kam. Allerdings warf die ganze Geschichte eine interessante Frage auf – die Chance, dass Johnstone doch nicht so beliebt war, wie er es gern aussehen ließ, war etwas, was mir Spielraum verschaffte.
Sie ließen mich noch ein bisschen länger schmoren. Stunden vergingen.
Ich wollte schon gegen die Zellentür hämmern und fragen, wie lange sie mich denn eigentlich ohne Anklageerhebung festhalten konnten, als mein zweiter Besucher an diesem Morgen kam.
Jonny Johnstone hatte den Anzug gewechselt, trug jetzt einen netten neuen, grau diesmal und ordentlich gebügelt. Sein Hemd war so strahlend weiß, dass ich mich beinahe abwenden musste.
»Was wird das hier, ein Werbespot für das weißeste Weiß?«, witzelte ich.
»Sehr witzig, Dury.« Er plusterte sich auf. »Ich an Ihrer Stelle würde darüber keine Witze reißen.«
»Und ich an Ihrer Stelle würde mal ein bisschen weniger rumprotzen … Könnte gut sein, dass die Leute anfangen, sich zu fragen, wie Sie sich bei Ihrem Gehalt so viele Designer-Anzüge leisten können.«
Das traf genau den richtigen Ton. Das blasierte Gehabe erstarrte mitten im Schritt. »Mach nicht mal den Versuch, mich zu übertrumpfen, Dury!«
»Hah. Als könnte ich mit dem Anzug konkurrieren. Leck mich, Johnstone, ich hab die Schnauze voll von diesen lahmen Spielchen. Sie haben nichts gegen mich in der Hand.«
Er blinzelte nicht mal. »Nun, das werden wir dann ja noch sehen, was?«
Sein breites Grinsen brachte mich aus dem Konzept. »Was?«, sagte ich.
»Sehen wir doch mal, was bei der Gegenüberstellung herauskommt, die ich arrangiert habe.«
»Gegenüberstellung? Scheiße, was reden Sie da?«
»Wollen doch mal sehen, ob unser Zeuge Sie identifizieren kann … Türlich würde ich nicht mal im Traum daran denken, unseren Zeugen besonders auf Sie aufmerksam zu machen, Dury. Das wäre einfach nicht richtig.«
Er lachte, als er die Zelle verließ.
Ich hatte ungefähr eine weitere Stunde für mich, bevor ich geholt wurde. Sechzig Minuten Bibbern und Verzweiflung – das brachte mich in Stimmung für alles Folgende.
Ich wüsste gern, wo sie diese Typen aufgegabelt hatten. Falls es in der Gruppe noch einen gab, der auch nur annähernd meine Größe und Statur hatte, war ich ein Holländer. Doch damit nicht genug, drei davon waren bärtig. Nichts davon ergab für mich irgendeinen Sinn: Wer war der Zeuge, und was hatte er überhaupt zu bezeugen? Den Mord an Moosey?
Ein Uniformierter bellte: »So, und jetzt mal eine ordentliche Reihe bilden, ja!«
Wir marschierten als Gruppe ans Ende des Raums und stellten uns auf.
»Du, hier runter.« Ich gehorchte.
Links von mir stand einer, der wie ein kanadischer Trapper aussah, und auf der rechten Seite hatte ich Rod Hull – ohne sein Emu.
Als der Bulle den Raum verließ, ging das Licht an.
Ich hatte Herzklopfen. Am liebsten hätte ich gebrüllt, dass das alles nur ein riesiger Irrtum war, ich war doch immerhin derjenige, der die Polizei verständigt hatte. Lediglich die paar Schlucke Bell’s von vorhin hielten mich aufrecht.
Ich sah die Reihe entlang, und aus dem Nichts dröhnte mit einem Mal eine Stimme. »Augen geradeaus!«
War ein Gefühl, als würde Big Brother einen beobachten. Das Orwell-Zitat kam mir in den Kopf: »Wenn Sie sich ein Bild von der Zukunft ausmalen wollen, dann stellen Sie sich einen Stiefel vor, der in ein menschliches Antlitz tritt – immer und immer wieder.« Von meinem Standpunkt aus betrachtet schien
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