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Gelyncht - Gus Dury ; 2

Gelyncht - Gus Dury ; 2

Titel: Gelyncht - Gus Dury ; 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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»Ich erinnere mich gut an meine liebe Mutter … was war sie für eine prächtige, wundervolle Frau.«
    »Wir alle empfinden eine tiefe Zuneigung für unsere Mütter, wir Kerle.«
    Der Saufbruder verschränkte seine Finger ineinander, löste sie wieder. Begann, an einem alten Uhrenarmband an seinem Handgelenk zu nesteln. Eine Uhr war nicht zu sehen. »Meine Mutter war Reitsportlerin.«
    Das Wort irritierte mich, es wirkte viel zu eloquent bei ihm. »Sie war was?«
    Er strahlte, als er sich an seine Mutter erinnerte. »Sie hat viele Preise gewonnen, Rosetten.« Er lächelte. »In unserem Haus gab es ein Zimmer, das war bis unter die Decke voll damit. Alle möglichen Farben hatten sie – rot, blau, gelb und grün.«
    Das Bild, das er heraufbeschwor, versetzte mir einen Stich. Mein eigener Vater besaß Unmengen von Medaillen und Pokalen. Und welchen Preis wir alle dafür gezahlt hatten. Besonders meine Mam. Sie litt, als ich das letzte Mal mit ihr sprach. Ich wusste, ich hatte sie vernachlässigt seit dem Tod meines Vaters. Die Gedanken zermarterten meine Eingeweide, jagten einen wütenden Schmerz in meine Seele. Mein Gott, Gus, was bist du ihr ein fürchterlicher Sohn gewesen. Sowohl ein fürchterlicher Sohn als auch ein schrecklicher Ehemann. Ich dankte dem Himmel, dass ich nicht auch noch ein Vater gewesen war.
    Die Kellnerin brachte die Suppe und stellte sie auf den Tisch. Dazu einen Teller mit Brot, Kommissbrot. Das Brot war schön dick mit Margarine bestrichen. »Tut mir leid, das Sodabrot ist aus«, sagte das Mädchen.
    Der alte Knabe lächelte. »Überhaupt kein Problem. Ich danke Ihnen aus tiefstem Herzen, Liebes!« Während das Mädchen errötete und sich zurückzog, erhob Tupac sich vom Tisch und warf ihr eine Kusshand zu. »Sie bereichern den Raum mit etwas sehr Seltenem, meine Liebe«, verkündete er.
    Sie senkte den Kopf, doch ihre Lider schossen hoch.
    »Nehmen Sie’s als Kompliment«, sagte ich.
    »Genau so ist es gemeint, Mädchen«, bestätigte der alte Säufer, »so ist es gemeint … Es ist eine wunderbare Gabe, das Herz eines alten Mannes anzurühren, einfach indem man da ist.«
    Ich hielt diesen Burschen für eine ziemliche Persönlichkeit. Er besaß eine Herzlichkeit und soziale Kompetenz, die heutzutage nur noch selten anzutreffen ist. Ich überlegte nachzuhaken, mich nach seinem Namen zu erkundigen, nach seiner Geschichte. Aber ich wusste, es würde mich nur endlos deprimieren. Er würde irgendeine Geschichte erzählen, dass er früher mal dies oder jenes gewesen war, und dann passierte dieses schreckliche Ereignis, ein Absturz. Ich hatte das alles schon zigmal gehört. Es war viel zu deprimierend, um es noch ein weiteres Mal zu hören. In dieser Stadt gibt es Tausende genau solcher Geschichten.
    Er machte sich über den Eintopf her, stellte den Teller schräg. Sein Daumen berührte den Rand, tauchte in die Suppe.
    »Nun, Angus, möchten Sie mir nicht doch bei einem Teller dieser herrlichen Suppe Gesellschaft leisten?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Nein, danke.«
    »Aber Sie sehen aus wie ein Mann, der in letzter Zeit ein paar Mahlzeiten ausgelassen hat.«
    Und los geht’s, die Geschichte meines Lebens. Die Leute wollen mich immer mästen. Dazu wird es aber niemals kommen. Ich habe das, was man einen schnellen Stoffwechsel nennt. Die Jeans, die ich trug, waren Zweiunddreißiger … und sie waren im Bund zu weit. »Nein, ich bin absolut glücklich. Ich habe keinen großen Appetit.«
    »Dein Appetit gehört anderen Dingen.«
    Jetzt hatte er mich durchschaut.
    »Hören Sie, essen Sie die Suppe. Lassen Sie es sich schmecken. Ihr Appetit ist groß genug für uns beide«, sagte ich.
    Damit schien das erledigt. Er schlürfte munter vor sich hin, leerte den Teller, wischte den Rest mit dem Brot auf.
    »Ein prächtiges Mahl, mein guter Sohn.«
    Als er mich Sohn nannte, machte mein Herz einen Satz. Mein eigener Vater hatte mich nie so genannt. Wenn er dieses Wort überhaupt benutzte, dann ausschließlich in der Wendung nicht mein Sohn.
    »Haben Sie noch Hunger?«
    »Nein, nein. Ich bin satt … Aber Sie, Sir, sind es, glaube ich, nicht.«
    Was ich nicht bestreiten konnte. »Sie wissen, warum ich mit Ihnen sprechen will, Tupac?«
    Seine schmalen Schultern schienen noch enger zusammenzurücken, als er den Teller beiseiteschob. Er hockte mir gegenüber wie ein Gargoyle. »Ich hab da so die Vermutung, dass es um den Mord geht.«
    »Die haben Sie aufs Revier geholt.«
    »Die Dreckskerle haben mich öfter

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